Das Los: Thriller (German Edition)
von ganz Indien zukommen lassen.«
Pradeep schaute sie an und hob die Brauen. »Und wenn nicht? Dann habe ich wirklich alles verloren. Die Wohnung müsste ich doch als Einsatz geben, oder? Dann leben meine Frau und die anderen Kinder auch in Zukunft im Slum, und vermutlich sterben sie auch noch an Malaria.«
»Die Chancen sind eins zu vier«, wiederholte Henri. Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Offensichtlich fühlte auch er sich nicht wohl in seiner Haut.
»Das heißt, in drei Fällen verliere ich und in nur einem Fall gewinne ich, richtig?«, entgegnete Pradeep. Er schüttelte den Kopf. »Nein, man soll das Schicksal nicht herausfordern.«
»Wenn ich gewinne, bezahle ich die Behandlung von Pandita«, versprach Trisha. »Und kaufe euch ein Haus.« Sie warf Henri einen erwartungsvollen Blick zu.
»Ich auch«, beeilte er sich zu sagen.
Pradeep schien nun zu überlegen.
»In drei Fällen gewinnst du Panditas Gesundheit, in einem nicht«, fasste Trisha zusammen. Obwohl sie die Idee gut fand, kam es ihr dennoch irgendwie falsch vor, das Wohl eines kleinen Mädchens als Lockmittel zu verwenden. Doch wenn Pradeep sich weigerte, mitzuspielen, würde seine Tochter wohl auf jeden Fall sterben.
»Das würdet ihr wirklich tun?«, fragte Pradeep.
Trisha und Henri nickten. Zu gern hätte Trisha sofort einige Dollar für Pandita gespendet. Doch der Mönch hatte als Einsatz ihr gesamtes Vermögen gefordert, und Chads Geld, das er ihr geliehen hatte, reichte nur noch für die Rückreise. Ihr kamen zudem Henris mahnende Worte wieder in den Sinn. Sie durfte das Elend, das sie in dieser Stadt gesehen hatte, nicht zu nahe an sich heranlassen.
»Und was muss ich dafür genau tun?«
Pradeeps Frage riss Trisha aus den Gedanken.
»Ein Dokument unterschreiben und uns nach Rom begleiten«, antwortete Henri.
»Ich … habe kein Geld für eine solche Reise«, bemerkte Pradeep stockend.
»Kein Problem«, sagte Trisha und legte alle Zuversicht in ihre Worte. »Wir zahlen Flug und Hotel.«
»Und wenn ich gewinne, bekomme ich viel Geld?«, wollte Pradeep wissen.
»Unermesslich viel«, bestätigte Henri.
Pradeep blinzelte. »Und wer hat mich dann vorhin überfallen, wenn nicht ihr?«
Dies war ein Thema, das Trisha in den vergangenen Stunden verdrängt hatte, das ihr aber durchaus Kummer bereitete. Sorgenvoll schaute sie zu Henri und fragte sich, ob er eine Antwort wusste.
Seit Chads Anruf kam ihr der Mann, mit dem sie nach Mumbai gereist und der ihr nach so kurzer Zeit schon wie eine alte Reisebekanntschaft vorgekommen war, merkwürdig fremd vor. Seine Aura kühner Anrüchigkeit, die er aufgrund seines Gefängnisausbruchs zuvor ausgestrahlt hatte und die Trisha, wenn sie ehrlich war, irgendwie anziehend gefunden hatte, war verflogen. Seine galante Art, seine versteckte Intelligenz und die leichte Überheblichkeit, mit der er allem begegnete – all dies wirkte auf sie jetzt wie eine Tarnung. Sie würde sich nicht wundern, wenn der Anschlag auf ihn tatsächlich nur vorgetäuscht war, um aus dem Gefängnis fliehen zu können. So, wie auch der Wärter es vermutet hatte. Und wenn er in Mumbai ebenfalls Bekannte hatte, die ihm noch etwas schuldeten? Vielleicht steckte er sogar hinter dem Anschlag auf diesen Carter Fields in New York? Henri warf ihr ein Lächeln zu. Sie wendete den Blick rasch ab, als habe sie es nicht bemerkt.
»Wir haben keine Ahnung, wer das war«, sagte sie ernst. »Aber offensichtlich wollten diejenigen, die dich überwältigt und in der Nähe jenes Müllbergs abgelegt haben, dass du uns triffst. Insofern scheinst du sicher zu sein, wenn du bei uns bleibst.«
Wieder schaute sie zu Henri, der zustimmend nickte.
Und plötzlich fühlte sie sich, als säße sie an einem riesigen Pokertisch, in dessen Mitte der größte Einsatz lag, den sie bringen konnte. Die Karten waren gemischt und verteilt. Jetzt galt es, die Mitspieler zu durchschauen und ihr Blatt richtig auszuspielen. Und sie war nicht allein, denn sie hatte Chad. Erstmals seit Wochen sehnte sie sich nach ihm.
65
B ERLIN , 1764
Casanova schlich durch den Garten wie ein Strauchdieb. Weit und breit war keine Schildwache zu erblicken. Er war in aller Herrgottsfrühe in Berlin gestartet und über eine Stunde zu früh in Sanssouci angekommen. Durch eine unverschlossene Terrassentür war er in eine Gemäldegalerie gelangt, wo ein Aufseher ihm mitgeteilt hatte, dass Seine Majestät, wie so oft, zum Dessert mit einem Konzert beschäftigt sei. Da sie erst
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