Das Los: Thriller (German Edition)
»Ich wünschte, ich hätte deinen Optimismus«, sagte er.
»Das ist kein Optimismus«, entgegnete Carter verächtlich und richtete sich in seinem Bett auf, wobei ein weiterer Stapel Blätter ins Rutschen geriet und auf den Boden fiel. »Das ist Gewissheit. Gewissheit, dass man alles im Leben kaufen kann. Sogar Gesundheit. Die wirst du auch noch erlangen, solange du loyal bleibst. Wenn du verstehst, was ich meine.«
Carter fixierte seinen Buchhalter. Marc hielt seinem Blick nur kurz stand, dann erhob er sich, kniete sich nieder und begann, auf allen vieren die Unterlagen aufzusammeln.
68
B ERLIN , 1764
Der Umzug des Lotterieamtes in die Straße Unter den Linden hatte sich gelohnt. Calzabigi schätzte, dass die Anzahl der Zuschauer bei der Ziehung sich im Vergleich zu früher verdoppelt hatte. Vor der aus Holz gezimmerten Bühne drängte man sich dicht an dicht. Der König hatte dem Umzug noch zugestimmt, bevor er zu dem Entschluss gekommen war, das Lotteriespiel zukünftig zu verpachten.
»Die Pächter werden eine entsprechende Unterkunft benötigen, von der aus sie das Spiel steuern. Mag das General-Lotterieamt Unter den Linden Teil des Pachtvertrages werden« , hatte der König in seiner Verfügung bestimmt. Auch Casanova war es nicht möglich gewesen, ihn umzustimmen, wenngleich er nach seiner Rückkehr von der Audienz lebhaft geschildert hatte, wie sehr er angeblich für Calzabigi gekämpft habe.
»Bis der König mir drohte, mich wegen Widerstands festnehmen zu lassen«, hatte Casanova großspurig behauptet.
Calzabigi glaubte ihm kein Wort. Er erkannte einen Lügner drei Meilen gegen den Wind – und erst recht, wenn so einer direkt vor ihm stand.
Umso mehr kam es nun auf diese letzte Ziehung unter des Königs Regie an. Würde sie ordentlichen Gewinn abwerfen, könnte dies Calzabigi als Werbung dienen, wenn er nun mit den Wohlhabenden der Stadt sprach, um sie als Investoren für seinen Fonds zu gewinnen. Unter seiner Ägide würden sie die Lotterie pachten und zu neuem Ruhm führen. Ohne die Fesseln des Königs, befreit von der quälenden Umarmung Hainchelins, könnte er ganz neue Wege beschreiten. Denn das Volk war fasziniert von der Lotterie. Man musste ihm nur noch die Angst davor nehmen.
»Was, wenn diese Ziehung kein Erfolg wird?«, hörte er eine Stimme hinter sich.
Er drehte sich um und blickte in Maries Gesicht. In den vergangenen Wochen hatte sie auf ihn immer ängstlicher gewirkt, was seine Zuneigung zu ihr bestärkt und zudem noch seinen Beschützerinstinkt geweckt hatte. Doch gleichzeitig war in ihm die Erkenntnis gewachsen, dass er es war, den sie fürchtete.
»Dann werde ich gerupft, und du kannst meine Feder neben die Straußenfeder auf deinem Hut stecken«, antwortete Calzabigi und zeigte auf ihre Kopfbedeckung. Ihren Hut aus hellviolettem Taft schmückte eine große Straußenfeder, die im Wind hin und her wogte. »Wenn ich mich recht erinnere, trug der Hut noch keine Feder, als ich ihn dir kaufte. Ein Geschenk?« Er versuchte, belanglos zu klingen, merkte an ihrem Gesichtsausdruck jedoch, dass es ihm nicht gelungen war.
»Sehr recht«, antwortete Marie kühl, während sie an ihm vorbei auf die Bühne schaute, wo Charles ungeduldig auf seinen Auftritt wartete.
»Darf ich raten, von wem?«, fragte er mit beherrschter Freundlichkeit, ohne jedoch seinen Ärger wirklich verbergen zu können.
»Nur zu. Einen guten Tipp von einem schlechten zu unterscheiden ist ja Euer Geschäft.«
»Casanova!«, donnerte er ihr entgegen, kräftiger und lauter als gewollt.
»Falsch!«, giftete sie. »Charles – das wäre die richtige Antwort gewesen.«
»Wie soll der Junge sich so etwas leisten können?«, spottete er.
»Von dem Geld, welches er sich mit der Herstellung der Lotteriealmanache verdient«, antwortete Marie und wandte sich beleidigt ab. Ihr Busen bebte vor Zorn.
»Dann verzeih meinen voreiligen Schluss. Es ist nur … Du musst eingestehen, diesen Casanova in deinem Bett vorzufinden … Ich habe jedes Recht zu Vermutungen. Immerhin handelt es sich hier um Casanova!«
»Es ist Euer Freund, der in unser Haus eindringt, in mein Gemach, und es sich dann auf meinem Bett gemütlich macht! Weder habe ich ihn zu mir eingeladen, noch habe ich … habe ich … Ihr seid so … impertinent!«, zürnte sie.
Das Rot ihrer Wangen verriet ihre Empörung. Oder aber ihre Schuld, dachte Calzabigi. »Ich habe mich erkundigt«, entgegnete er, nicht weniger aufgebracht als sie. »Du bist des Häufigeren
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