Das Los: Thriller (German Edition)
Freund von mir. Aber neben meiner aufrichtigen Zuneigung gehört ihm auch mein Mitleid.«
»Wieso?«, fragte der König und verlangsamte das Tempo.
»Er ist wie ein Fisch, der gegen den Strom schwimmen muss. Stets voller Eifer und Fleiß. Doch was auch immer er unternommen hat, irgendwann ist die Gegenströmung zu stark geworden und hat ihn davongespült.« Casanova schüttelte betrübt den Kopf. »Als klebe das Pech an ihm. Aber ich mag ihn wirklich. So sehr wie Männer einander mögen können, wenn Ihr versteht, was ich meine.« Bei diesen Worten heftete er scheinbar den Blick auf seine Schuhspitzen; die Pupillen waren jedoch in den Augenwinkeln, um des Königs Reaktion nicht zu verpassen.
Friedrich schien kurz aus dem Tritt zu geraten und erwiderte nichts. Seine Wangen waren leicht gerötet, und die Stirn hatte er nachdenklich in Falten gelegt, wie Casanova nicht entging.
»Und was haltet Ihr von der Lotterie?«, fragte der König.
»Eine hervorragende Abgabe der Bürger«, lobte Casanova.
»Aber der König kann dabei verlieren«, gab Friedrich zu bedenken.
»Einmal in fünfzig Fällen!«, wandte Casanova ein.
»Ist dies das Resultat einer sicheren Berechnung?«
»Genauso sicher wie politische Berechnungen«, entgegnete Casanova hintersinnig.
»Die sind oft irrig!«, stellte der König fest.
Abrupt blieb er stehen und wandte sich Casanova zu, der das Gleiche tat, sodass sie sich nun direkt gegenüberstanden und ins Gesicht blickten.
»Sie sind es nie, Eure Majestät, wenn Gott neutral bleibt«, bemerkte Casanova.
»Warum mischt Ihr hier Gott ein?«, fragte der König überrascht.
»Eure Majestät, nennt es meinetwegen Schicksal oder Zufall.«
Beide starrten sich noch einige Augenblicke gegenseitig an, dann drehte der König sich zu seinem Vorleser und gab ihm durch einen Wink zu verstehen, dass er sich zu entfernen hatte. Der Mann stieß einen Pfiff aus, und als aus einem Busch neben ihm der Hund zu ihm gestürmt kam und an ihm hochsprang, packte er ihn am Hals und zog ihn in die Richtung fort, aus der sie gekommen waren.
Der König setzte anschließend seinen Weg fort, und Casanova folgte ihm. Die beiden gelangten zu einem kleinen Pavillon.
»Das lasse ich mir gefallen. Vielleicht denke ich wie Ihr, was die moralische Berechnung anbelangt. Aber diese Lotterie liebe ich nicht. Sie scheint mir eine wirkliche Gaunerei zu sein, und ich möchte sie nicht, selbst wenn ich die Gewissheit hätte, nie dabei zu verlieren.«
Ein Lächeln huschte über Casanovas Gesicht. »Ihr denkt wie ein Weiser, denn das unwissende Volk wird durch das trügerische Vertrauen zum Spiel getrieben«, bestärkte er den König.
Der blieb plötzlich erneut stehen und musterte ihn ganz offen von Kopf bis Fuß. »Wisst Ihr, dass Ihr ein sehr schöner Mann seid?«, schmeichelte er dem Venezianer mit sanfter Stimme.
»Eine der geringsten Eigenschaften, derer man sich rühmen kann«, entgegnete Casanova mit einem verführerischen Augenaufschlag.
»Aber nicht zu unterschätzen«, sagte Friedrich, ohne seinen Blick von ihm zu lassen.
66
I TALIEN
Sie war noch zu jung dafür.
Mit beiden Händen packte sie ihn an der Taille und versuchte angestrengt, ihn von ihrem Körper zu stemmen, doch er war zu stark. Auch wenn er, wie sie, erst fünfzehn war – das Rugbytraining hatte seine Muskeln bereits so ausgebildet, dass seine Kräfte den ihren weit überlegen waren. Er keuchte. Sein Atem stank nach Bier und Schnaps. Sein Gewicht schien sie fast zu erdrücken. Nun begann er, an ihrer Kleidung zu zerren. Es war, als habe er mehr als zwei Hände. Sie wollte schreien, doch er hielt ihr den Mund zu, dann küsste er sie brutal: Seine Zunge durchstieß ihre zusammengepressten Lippen und glitt gierig in ihren Mund. Sie versuchte, zu beißen, doch da war die eklige fremde Zunge schon wieder fort. Er lachte, er keuchte. Sie spürte eine kalte Hand in ihrer Jeanshose. Wenn sie nur nicht mit ihm gegangen wäre. Von weit her hörte sie den Partylärm. Musik, fröhliches Gelächter …
Sie riss die Augen auf. Ihr Herz hämmerte. Das Nackenkissen, das die Stewardess ihr gegeben hatte, war schweißnass. Sie atmete stoßartig, als sei sie den Weg von Mumbai bis hierher gelaufen. Langsam entkrampften sich ihre Hände, und sie verstand, dass sie geträumt hatte. Wiedererlebt, wie der Psychologe es genannt hatte, bei dem sie als Teenager zweimal gewesen war, und der sie dann so lüstern angesehen hatte, dass sie kein drittes Mal hingegangen war.
Trisha
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