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Das Los: Thriller (German Edition)

Das Los: Thriller (German Edition)

Titel: Das Los: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tibor Rode
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Münze spätestens in jenem Moment aufgelesen worden, wo sie den Boden des Bassins berührt hätte. Vermutlich hätte sie diesen in einem von Straßenkindern übervölkerten Brunnen nicht einmal erreicht. Er schüttelte seinen Kopf. Nie hätte er sich träumen lassen, dass es ein Land gab, in dem die Menschen ihr Geld freiwillig wegwarfen.
    »Es soll Glück bringen!«, hatte ihm eine ältere Frau zugerufen, als er wieder im Schatten Platz genommen hatte. Offenbar war ihr sein verblüfftes Gesicht aufgefallen.
    Glück: Das war es, was er jetzt wirklich gut brauchen konnte.
    Seit dem Moment, wo das Auto vor ihm gehalten hatte und ihm der alte Plastiksack über den Kopf gestülpt worden war, fühlte er sich, als habe man ihn in eine andere Welt entführt. Diese junge Britin und der Anwalt. Die Geschichte von der Lotterie. Das erste Mal in einem Flugzeug fliegen, hoch über den Wolken, die er bislang nur von unten gekannt hatte. Dann die Verhaftung des Mannes, den er Henri nennen sollte, in dessen Pass aber Igor stand. Er hatte ihn gemocht, vielleicht sogar noch mehr als diese hysterische Engländerin. Aus ihr wurde er nicht schlau. Einerseits war er sicher, dass sie den Deutschen mochte. Andererseits war ihm ihr Verhalten am Flughafen komisch vorgekommen. Als er aus der Herrentoilette wieder hinausgeeilt war, weil eine Frau mit einem Teller beim Eintritt von ihm Kleingeld verlangt hatte, war ihm aufgefallen, dass diese Trisha aufgeregt telefoniert hatte. Dann war sie auf der Damentoilette verschwunden und lange Zeit nicht herausgekommen. Danach hatte sie sich ein Getränk gekauft, das sie nicht angerührt hatte. Ihre Reaktion und ihr Gesichtsausdruck bei der Verhaftung. Irgendetwas stimmte mit ihr nicht.
    Sie hatten gleich nach ihrer Ankunft seine Unterlagen für die Teilnahme an der Lotterie bei einem Anwalt abgegeben, den sie hier notaio nannten. Er hatte erst erstaunt und dann sogar erfreut gewirkt, und die Britin war danach deutlich entspannter gewesen. Danach waren sie zu einem Hotel gefahren, und dort hatte dieser Amerikaner sie begrüßt. Er hieß Chad und war der Freund von der Britin. Er kannte dessen herablassenden Blick von vielen Touristen in Mumbai, die sich für etwas Besseres hielten. Dieser Chad hatte kein Wort mit ihm gesprochen, nur mit einem Nicken und abschätzigen Stirnrunzeln auf ihn gedeutet, wenn er mit seiner Freundin über ihn sprach. Pradeep war schließlich in einem eigenen Zimmer unter dem Dach untergekommen, das sogar über eine Toilette verfügte. Nur für ihn allein – was für ein Luxus! In Dharavi teilte man sich das Klo mit dreihundert anderen. Mindestens.
    Die Ziehung, so hatte Trisha ihm erklärt, sollte wohl in einigen Tagen stattfinden; dann würde sich bei diesem Notar entscheiden, wer gewinnt. Er seufzte. Bei dem Wort »Lotterie« kamen all die Sorgen in ihm hoch. Er spürte sogar einen Schmerz, und zwar dort, wo er die Nieren vermutete, die er nun wie einen nicht eingelösten Coupon noch immer mit sich herumtrug. Mit der Lotterie der MHADA hatte das ganze Unglück überhaupt erst begonnen, und nun stand er vor der nächsten Ziehung. Noch schlimmer waren die Gedanken an Pandita.
    Er lehnte seinen Kopf zurück, gegen eine kühle Steinmauer, und blickte in den Himmel. Ob er es spüren würde, wenn sie starb? Wenn man durch die Luft mit Handys telefonieren konnte, dann musste man doch auch fühlen, wenn dem eigenen Fleisch und Blut etwas passierte. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er sie und die Familie allein gelassen hatte. Erst in Dharavi. Dann in Mumbai. Nun in Indien. Er saß hier am anderen Ende der Welt, während es seiner Tochter schlecht ging. Tränen stiegen in ihm auf, und er sprang auf die Füße.
    Unwillkürlich zuckte er zusammen. Immer noch erschrak er, wenn er mit den neuen Schuhen auftrat, die die Britin ihm gestern gekauft hatte. Mit den dicken Sohlen unter den Füßen fühlte es sich an, als würde er schweben. Auch seine Hose und sein Hemd waren neu, beide allerdings in schrecklich grellen Farben: Die Kleidungsstücke waren nicht von ihm selbst ausgesucht worden, sondern dieser Chad hatte sie in der Abteilung für Männer für ihn ausgewählt. Er kam sich vor wie einer der Papageien, die die Vogelhändler in Mumbai am Straßenrand verkauften und die man, wenn sie einmal entkamen, noch lange als leuchtenden Punkt am Himmel verfolgen konnte.
    Pradeep spazierte am Brunnen entlang. Plötzlich blieb er stehen. Vor ihm auf dem Boden blinkte etwas in der Sonne.

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