Das Los: Thriller (German Edition)
reagiert.
»Zhang muss gelogen haben«, hatte sie aufgeregt behauptet.
Doch er fragte nüchtern zurück, warum Zhang dies tun sollte. »Außerdem habe ich dir doch von dem Zeitungsartikel erzählt, den Zhang mir geschickt hat«, hielt er ihr entgegen. Dann stellte er seine Reisetasche auf den Kopf, den Zeitungsartikel fand er jedoch nicht mehr. »Das blöde Zimmermädchen muss ihn für Müll gehalten haben!«, fluchte er.
Vor dem Einschlafen stritten sie fast darüber, ob Verbeeck tatsächlich ein Lügner war.
»Es würde mich nicht wundern, wenn er es war, der versucht hat, im Auftrag des Anwalts diesen Inder zu überfahren«, mutmaßte Chad. »Er kam doch kurz vor ihm zu dir. Und dann hat er sich auch noch als diesen Investmentbanker ausgegeben. Vergiss nicht: Er ist auch ein Krimineller!«
Das klang nicht unlogisch, und deshalb verzichtete sie darauf, ihm zu widersprechen. Danach hatte sie sich nicht mehr getraut, ihm von Verbeecks Plan für die heutige Ziehung zu erzählen.
So hatte sie die Stunden bis zum Morgen rückwärts gezählt und war schließlich aufgestanden, lange bevor die Dämmerung einsetzen würde. Um Chad nicht zu wecken, hatte sie sich für einen langen Spaziergang durch das erwachende Rom entschieden.
An allen Ecken roch es nach frisch gebackenem Brot. Männer in Arbeitsmontur standen an Tischen vor Bars und tranken Espresso, und Straßenreinigungsfahrzeuge hinterließen nasse Spuren im Straßenstaub.
Der frühe Morgen hatte auf Trisha schon immer eine beruhigende Wirkung gehabt. Ähnlich wie eine noch unbetretene Schneelandschaft oder ein eingeschweißtes Deck Karten. Sie liebte Dinge, die unberührt waren. Oder war »unverdorben« das richtige Wort?
Während sie durch die Gassen streifte, wanderten ihre Gedanken immer wieder zu dem gestrigen Gespräch mit Verbeeck. Seine Worte hatten etwas in ihr ausgelöst, allerdings konnte sie nicht fassen, was es war. Ihr war, als suche sie nach einem Wort, fand aber nur Synonyme, die nicht so recht passten. Auf einmal legte sich das Muster des Teppichs im Hotelzimmer über das Kopfsteinpflaster vor ihr, und sie blinzelte, um die Fata Morgana loszuwerden. Vermutlich war sie einfach ein wenig durch den Wind. Die Strapazen der letzten Tage hatten sie ziemlich mitgenommen – kein Wunder, dass sie nun begann, zu fantasieren.
So drehte sie eine große Runde, und erst als es fast hell wurde, kehrte sie in ihr Hotel zurück. In der Lobby kam ein junger Italiener auf sie zugeeilt.
»Signorina Wilson?«, fragte er mit starkem italienischen Akzent.
Sie nickte.
»Ihr Freund, Mr. Harris … Als er gestern den Motorroller zurückgegeben hat, habe ich vergessen, ihm seinen Ausweis auszuhändigen, den er als Kaution hinterlegt hatte. Wären Sie so freundlich und würden ihn ihm geben?«
Trisha starrte auf den Ausweis, von dem Chad ihr mit ernstem Gesicht entgegenblickte.
»Signorina, wenn es Umstände macht, dann kann ich ihn auch selbst zurückgeben …«, sagte der Hotelangestellte verunsichert.
»Nein, kein Problem; natürlich mache ich das!«, antwortete Trisha freundlich.
Schon wollte der Hotelmitarbeiter sich mit einem Gruß verabschieden, als Trisha ihn zurückhielt.
»Was für ein Roller war das?«, fragte sie.
»Der da draußen«, antwortete ihr Gegenüber und zeigte vor den Eingang. Dort stand eine schwarze Vespa.
Trisha nickte gedankenverloren. Wie in Trance ging sie zu den Fahrstühlen. Obwohl ihr Zimmer im ersten Stock lag, drückte sie den Knopf für das vierte Geschoss. Während der Lift sich mit bebenden Türen nach oben quälte, hatte sie das Gefühl zu fallen. Wie beim Memory-Spiel, wenn fast alle Pärchen aufgedeckt waren, fügte sich in ihrem Kopf plötzlich alles zusammen. Und als sie über den Flur lief, flogen die Muster auf dem Hotelteppich, der genauso aussah wie der in ihrem Zimmer, unter ihren Füßen hin und her und ordneten sich zu einer neuen Figur, die dem Foto auf dem Ausweis in ihrer Hand glich.
Endlich hatte sie Pradeeps Zimmer erreicht. Seit dem gestrigen Abendessen hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Sie klopfte, doch niemand öffnete ihr. Vielleicht war er bereits unten beim Frühstück. Mit einem unguten Gefühl kehrte sie zurück zum Fahrstuhl und fuhr drei Etagen hinab. Sie ging zu ihrem Zimmer, öffnete die Tür und trat ein. Die Gardine war aufgezogen, was bedeutete, dass Chad mittlerweile wach war.
»Wo warst du?«, ertönte seine Stimme dicht neben ihr.
Er stand in der Badezimmertür. Außer einem Handtuch,
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