Das Los: Thriller (German Edition)
Grau. Nicht besser stand es um seinen Schreibtisch, hinter dem er sich verschanzte. In früheren Jahrzehnten, vielleicht sogar Jahrhunderten, mochte er ein Symbol für den Reichtum seines Besitzers gewesen sein, doch jetzt wirkte er mit den vielen abgestoßenen Stellen und der erblindeten Politur wie ein Artefakt, das man gerade ausgegraben hatte. Der Stuhl, auf dem Trisha saß, schien in noch schlechterem Zustand zu sein. Das Leder, das als Sitzfläche diente, war durchgesessen, und an einer Seite hatte sich die Naht geöffnet, was ihr aufgefallen war, als sie mit der Hand unter den Stuhl gefasst und sich dabei an einem steifen Zwirn in den Finger gestochen hatte.
»Sonst fangen wir gern ohne die anderen an – erhöht meine Chancen«, scherzte Trisha müde.
Er warf ihr einen angespannten Blick zu, ohne zu lächeln. Scheinbar hatte er ihren kleinen Scherz nicht verstanden. Sie war gespannt, wer erscheinen würde. Der Notar hatte ihr versichert, dass er mit niemandem mehr gesprochen habe und selbst nicht wisse, mit wessen Teilnahme zu rechnen sei.
Wieder schaute der Notar auf seine Armbanduhr. Er griff nach einer kleinen Kugel, die vor ihm lag, und begann, nervös mit ihr zu spielen. Trisha suchte verzweifelt nach einem Thema für eine Konversation, als es klopfte.
Bevor der Notar darauf reagieren konnte, öffnete sich die Tür einen Spalt breit, und die Sekretärin steckte kurz den Kopf ins Zimmer. Sie säuselte etwas auf Italienisch, dann öffnete sich die Tür ganz, und ein Mann betrat das Zimmer.
Neugierig beugte Trisha sich vor. Sein schwarzer Anzug glänzte im Tageslicht. Zur giftgrünen Krawatte trug er ein gleichfarbiges Einstecktuch. Er war deutlich edler gekleidet als der Notar. Allein dieser Umstand hätte schon genügt, um ihn als Carter Fields zu identifizieren. Darüber hinaus erinnerte sie sich dunkel an das Foto, das sie von ihm kurz nach dem Attentat im Fernsehen gesehen hatte.
Der Notar hatte sich mittlerweile erhoben und war zur Begrüßung zur Tür geeilt. »Sie sind …«, fragte er etwas unsicher, als er die Hand ausstreckte.
»Carter Fields«, stellte der Ankömmling sich mit einem höflichen Kopfnicken vor. Noch während er die Hand des Notars schüttelte, wanderte sein Blick zu Trisha. »Ah, Sie müssen Miss Wilson sein«, sagte er und machte zwei Schritte auf sie zu, wobei er merkwürdig unbeholfen wirkte.
Auch Trisha erhob sich nun und trat auf ihn zu, um ihn höflich zu begrüßen.
»Verzeihen Sie, aber vielleicht haben Sie von dem Anschlag auf mich gehört, ich bin noch ein wenig schlecht zu Fuß«, entschuldigte er sich, als sie sich in der Mitte des Raumes trafen.
Trisha spürte, dass sie ein schlechtes Gewissen bekam, da Chad es gewesen war, der dem Mann dieses Leid zugefügt hatte.
»Wie ich hörte, sitzt Ihr Freund nun aber hinter Schloss und Riegel«, ergänzte Fields mit einem milden Lächeln.
Trisha glaubte, rot zu werden. »Woher wissen Sie das?«, fragte sie überrascht.
»Hat Gonzales nicht erzählt, dass ich ihn beauftragt habe?«
Trisha versuchte sich zu erinnern. In der Tat hatte ihr Retter erwähnt, dass er den Schützen von Fields jagte. Allerdings nicht, dass er im Auftrag von Fields handelte. Wieder fügte sich ein Teilstück in das große Puzzle. »Es tut mir so leid. Sie müssen mir glauben, dass ich damit nichts zu tun habe.«
»Gonzales hat es bestätigt. Und ihm glaube ich«, entgegnete Fields etwas schroff. »Hoffen wir nur, dass sich der hohe Einsatz, den wir alle gezahlt haben, am Ende lohnt«, sagte er und blickte dabei zum Notar.
Der stand mittlerweile wieder hinter seinem Schreibtisch und zeigte auf zwei leere Stühle vor sich. »Wenn wir zu dritt bleiben, nehmen Sie bitte hier Platz.«
Während Trisha und Fields seiner Aufforderung folgten, schaute der Notar zum wiederholten Mal auf seine Uhr.
»Oder ist noch mit jemandem zu rechnen? Es ist nun schon nach vier«, bemerkte er mit wichtigtuerischer Miene.
»Was ist mit dem Inder?«, fragte Fields an Trisha gewandt.
»Sie kennen alle Teilnehmer?«, erwiderte sie misstrauisch.
»Sie doch auch«, entgegnete Fields amüsiert. »So gestehen Sie es mir auch zu.«
Trisha wiegte den Kopf hin und her. Zu kompliziert war alles mittlerweile, als dass sie noch verstand, wer was wissen konnte.
»Ich schätze, Pradeep Kottayil wird nicht mehr erscheinen«, sagte sie schließlich. »Er war zwar bis gestern noch in Rom, doch heute ist er spurlos verschwunden. Ich habe ihn seit gestern Abend nicht mehr
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