Das Los: Thriller (German Edition)
überquert hatten, waren sie Tag und Nacht unterwegs gewesen, als sei der Teufel hinter ihnen her. Sein wundes Hinterteil brachte ihn noch um.
»Ich habe Euch doch gesagt, dass ich Euch dem Himmel näher bringen werde. Wartet ab. Schaut, dort die Burg. Das ist unser Ziel!«
Die Straße machte eine Biegung und gab durch ein Portal von Bäumen den Blick frei auf einen grünlich schimmernden See. Zu ihrer Linken erhob sich über dem See ein am bewaldeten Berghang errichteter Palast. Das satte Ockergelb der Fassade strahlte im warmen Licht der am Horizont aufgehenden Sonne. Über allem thronte eine riesige Kuppel.
»Wer wohnt dort?«, fragte Calzabigi ehrfürchtig.
»Dies ist das Castel Gandolfo. Die Sommerresidenz des Heiligen Vaters Clemens XIII.«, entgegnete Casanova mit tragender Stimme.
Calzabigi blickte verblüfft. »Und wer soll uns dort empfangen?«
»Wer wohl«, erwiderte Casanova grinsend.
»Der Papst? Ihr scherzt!«, rief Calzabigi und ließ sich zurück in den Sitz fallen, was wegen der Steigung nicht schwerfiel.
»Ihr seid ganz blass«, bemerkte Casanova amüsiert. »Nun sammelt Euch und nutzt die letzte Meile, um Kraft zu schöpfen, bevor Ihr ihm gegenübertretet.«
Calzabigi nickte geistesabwesend und beobachtete fortan, wie der Palast Serpentine um Serpentine näher kam. Endlich rollten sie auf ein großes Tor zu, vor dem Soldaten in bunten Uniformen und mit langen Lanzen in der Hand Wache hielten. Einer der Männer kam zu ihnen herüber und öffnete die Tür ihrer Kutsche.
»Wohin des Weges?«, fragte er mit einem Dialekt, der seine Schweizer Herkunft verriet.
»Kündigt dem Heiligen Vater den Ritter vom heiligen Sporn Giacomo Girolamo Casanova, Chevalier de Seingalt, in Begleitung des Signore Giovanni Antonio di Calzabigi an. Der Heilige Vater erwartet uns bereits in dringlicher Mission!«, befahl Casanova mit herrischem Ton.
Die Wache machte eine ehrfürchtige Verbeugung und entfernte sich.
»Ritter?«, rief Calzabigi erstaunt, als das Tor sich auf einen lauten Pfiff einer der Wachen hin öffnete und ihre Kutsche sich langsam wieder in Bewegung setzte. »Und der Heilige Vater erwartet uns in dringlicher Mission? Was geht hier vor?«
»Wartet ab!«, sagte Casanova mit einer abwiegelnden Handbewegung.
Der Innenhof des Palastes offenbarte, dass dieser aus mehreren einzelnen Villen bestand. Sie durchquerten einen Torbogen und hielten kurz darauf vor einem der Gebäude. Ein Bediensteter kam herausgeeilt und öffnete den Türschlag.
»Erwartet er uns?«, fragte Casanova ohne Umschweife, als ginge er in diesem Hause ein und aus.
»Er ist auf der Terrasse«, entgegnete der Diener.
Casanova wartete ungeduldig, bis auch Calzabigi der Kutsche entstiegen war, dann führte er ihn mit eiligen Schritten in das Gebäude, ohne auf den Diener zu warten. Sie durchquerten eine Halle, eine davon abgehende Galerie und einen verwinkelten Gang. Dann gelangten sie in einen Raum, den Calzabigi für ein Audienzzimmer hielt. Er hatte Mühe, dem schnellen Schritt Casanovas zu folgen, sodass ihm kaum Gelegenheit blieb, die vielen ausgestellten Schätze, Statuen und Gemälde zu bewundern. Nur flüchtig konnte er die Kronleuchter und den kostbaren Marmorboden in Augenschein nehmen; gleichwohl hatte er den Eindruck, dass ein königliches Schloss wohl kaum prächtiger eingerichtet war. Casanova steuerte auf eine große Fensterfront zu, und Calzabigi bemerkte, dass eine der Türen offen stand. Sie traten hinaus und standen auf einer Terrasse, hinter deren steinernem Geländer sich das großartige Panorama des Sees und seiner Umgebung ausbreitete.
Eine ganz in Weiß gewandete Person stand ein Stück entfernt an der Brüstung und blickte andächtig über die Landschaft. Casanova verlangsamte seinen Schritt und näherte sich dem Mann vorsichtig.
Als sie nur noch wenige Armlängen entfernt waren, erkannte Calzabigi am Gewand, dass sie auf einen Gottesmann zutraten.
»Lang ist es her«, sprach der Geistliche, ohne seinen Blick vom Horizont abzuwenden.
»In meinem Herzen ist es, als wäre es gestern«, entgegnete Casanova mit gesenktem Kopf und legte dabei seine Hand auf die Brust.
Calzabigi, der von der langen Reise und der Hetze durch die Räumlichkeiten ermattet war, bemerkte erst jetzt die fellbesetzte rote Samtmütze auf dem Kopf des Mannes vor ihnen. Ohne Zweifel stand er dem Papst höchstpersönlich gegenüber.
»Ist er das?«, fragte der Papst, während er sich zu ihnen umdrehte. Er war ein beleibter Mann ohne
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