Das Los: Thriller (German Edition)
sie begonnen. Dein Name steht auf der Liste derjenigen, die berechtigt sind, eines der letzten Lose zu erwerben, und der Preis, den es zu gewinnen gibt, ist von wahrhaft unermesslichem Wert.«
Henris Blick wanderte zu dem Umschlag, in dem sich das Los befinden sollte, dann zurück zum Mönch. Nun wunderte er sich nicht mehr, dass sein Vater den Mönch damals des Hauses verwiesen hatte.
»Und das haben Sie damals auch meinem Vater gesagt, bevor er Sie an die Luft gesetzt hat?«
Der Mönch nickte zustimmend, sichtlich zufrieden, dass Henri wieder zu sprechen begonnen hatte. »Das Los wird von Generation zu Generation weitervererbt, bis ein Erbe bereit ist, mitzuspielen.«
»Dann wollten es also meine Vorfahren bislang nicht haben?«, schlussfolgerte Henri.
Der Mönch nickte abermals.
»Obwohl es einen Preis von unermesslichem Wert zu gewinnen gibt?«, hakte Henri skeptisch nach.
Wieder nickte der Mönch.
Henri überlegte kurz, bevor er fragte: »Wie viel gibt es denn genau zu gewinnen?«
Der Mönch hob seine Schultern und legte zum Zeichen des Schweigens den Zeigefinger auf seine Lippen.
Henri starrte ihn an. Dann hob er seine Hand, winkte ab und lehnte sich demonstrativ entspannt in seinem Stuhl zurück.
»Und was soll ich mit dem Gewinn anfangen, egal, wie viel es ist?«, fragte er spöttisch. »Falls es Ihnen nicht aufgefallen ist: Ich bin in meiner Bewegungsfreiheit ein wenig eingeschränkt! Geld spielt hier drin keine Rolle.« Er deutete auf die Gitter an den Fenstern.
Der Mönch schenkte ihm ein verständnisvolles Lächeln, gleich dem, das ein Vater seinem Kind zuteil werden lässt, wenn es am Abend auf das Monster unter seinem Bett hinweist.
»Du begehst einen menschlichen Fehler, wenn du versuchst das Unermessliche zu ermessen«, stellte er fest.
Henri wartete, ob sein Gegenüber etwas ergänzte, dann fuhr er sich mit der Hand durch seine Haare.
»Du redest wie der Dalai Lama!«, bemerkte er etwas genervt. Unvermittelt hatte auch er nun begonnen, seinen Gesprächspartner zu duzen.
»Der ist Buddhist, ich bin Christ.«
»Ein Christ verkauft Lose?«, erwiderte Henri verblüfft. »Wer steckt überhaupt hinter dieser mysteriösen Lotterie, bei der ein Mönch als Losverkäufer eingespannt wird?«
»Carlo della Torre di Rezzonico« , antwortete der Ordensbruder höflich und ergänzte auf Henris ratlosen Blick hin: »Papst Clemens XIII. Er regierte bis 1769.«
»Ein Papst?« Henri schüttelte den Kopf. »Und warum kommst du gerade zu mir? Warum zu meinem Vater?«
»Die Vorfahren deiner Familie haben das Recht zur Teilnahme erworben. Vor vielen Jahrhunderten in Preußen.«
»In Preußen?«
Der Mönch nickte zustimmend und hob die buschigen Augenbrauen. »Alle Teilnehmer sind Nachfahren von Preußen.«
Henri wusste nichts von irgendwelchen Vorfahren in Preußen. Er war wahnsinnig, sich auf diese haarsträubende Geschichte überhaupt einzulassen. Aber es stand fest, dass dieses Mönchlein vor dreißig Jahren bereits einmal in sein Leben getreten war. Und er saß im Knast. Was hatte er also zu verlieren.
»Wann ist die Ziehung?«, wollte Henri wissen.
»Wenn alle Lose verkauft sind«, entgegnete der Mönch.
»Wie viele Lose gibt es denn noch?«, erkundigte sich Henri.
»Nur noch drei außer diesem!«, stellte der Mönch trocken fest und zeigte auf den Umschlag.
»Dann wäre meine Chance also eins zu vier?«, fragte Henri nach.
Der Mönch nickte zustimmend.
Henri konnte sich gut vorstellen, dass sein Vater das Los nicht gewollt hatte. Er war überzeugter Sozialist gewesen, und die Aussicht auf einen »Gewinn von unermesslichem Wert« musste ihm einen großen Schrecken eingejagt haben.
Wieder schien der Mönch seine Gedanken zu erraten. »Als ich deinem Vater das Angebot unterbreitete, gab es allerdings noch zwölf Lose.«
Henri verstand nicht. »Du sagtest eben, es gebe nur vier …«
»Nur wer lebt, kann an der Ziehung teilnehmen. Und diese findet erst statt, wenn auch das letzte Los vergeben ist. Hat jemand aber ein Los gezeichnet und verstirbt vor der Ziehung, erlischt sein Recht auf die Teilnahme. Und ein bereits gezeichnetes Los kann auch nicht mehr weitervererbt werden. Auf die nächste Generation springt nur das Recht über, ein Los zu zeichnen, wenn die Vorfahren darauf verzichtet haben. Es waren einmal dreihundertachtundvierzig Teilnahmewillige. Doch leider lebt derzeit keiner der Losbesitzer mehr. Inzwischen gibt es nur noch vier Lose, die bis heute von den berechtigten Familien
Weitere Kostenlose Bücher