Das Los: Thriller (German Edition)
verstand.
Doch Calzabigi schüttelte wieder den Kopf.
Hainchelin beugte sich vor und sprach nun im Flüsterton. »Ich meine sein Interesse an der weiblichen Natur!«
Calzabigi verzog den Mund. »Ich verstehe immer noch nicht, was Ihr meint«, entgegnete er eine Spur zu laut.
»Pssst!«, ermahnte Hainchelin ihn. »Also, es geht darum, dass der König oft, vielleicht ein wenig zu oft … wie soll ich sagen … dass er recht oft hübsche Männer allein empfängt. Er liebt eben die geistige Unterhaltung, und solche Art der Konversation können ihm selbstverständlich nur gebildete Männer eröffnen – und keine Frauenzimmer. Aber nun ja, Ihr wisst, wie es ist. Der König hat die Königin wegen des Krieges lange nicht mehr gesehen. Und die Menschen sind niederträchtig, und sie mögen den Tratsch. Da wird geredet.«
Calzabigi dämmerte langsam, worauf Hainchelin hinauswollte.
»Na ja«, fuhr dieser fort, »und Ihr seid einer der wenigen, die mit dem König wegen des Immediatsrechts allein sein werdet. Und da wünscht der Hof sich, dass Ihr glücklich liiert seid. So ersticken wir jegliches Gerücht, was Euch angeht, im Keim. Denkt an das Thema ›Vertrauen und Lotterie‹, über das wir gesprochen hatten. Kaum auszudenken, wenn die Menschen denken würden, der König habe Euch nur mit der Lotterie beauftragt … Na ja, Ihr wisst, was ich meine. Ich hörte, dass Ihr ohne Gemahlin in Berlin abgestiegen seid. So wollte ich Euch fragen: Ihr seid doch verheiratet?«
Calzabigi starrte Hainchelin ungläubig an. Spontan wollte er mit »Nein« antworten. Im letzten Jahr hatte er mit Madame Dorcet zusammengelebt. Sie war deutlich älter als er und fast ihr ganzes Leben mit dem General La Mothe verheiratet gewesen. Nach dessen Tod hatte Calzabigi sie in Brüssel kennengelernt, und sie hatte sich ihm zugewendet. Im Zuge seiner Flucht aus Brüssel hatte er sie zurückgelassen, um nicht noch mehr Aufsehen zu erregen.
Andererseits schien es nicht klug zu sein, diesem Ränkeschmied zu offenbaren, dass er ledig war. Dies würde nur das Bild vom italienischen Abenteurer befeuern, das Hainchelin zu Beginn des Gesprächs angedeutet hatte. Calzabigi legte den Kopf zur Seite und lächelte. In ihm stieg die Erinnerung an den femininen Körperbau des Königs hoch, der ihm in Leipzig aufgefallen war.
»Verzeiht, dass ich gezögert habe«, entgegnete Calzabigi schließlich. »Aber ich musste die Ungeheuerlichkeiten, die Ihr mir erzählt habt, erst einmal verdauen. Selten habe ich einen männlicheren Herrscher getroffen!«
»Ohne Zweifel!«, beeilte sich Hainchelin, ihm beizupflichten.
»Abgesehen davon könnt Ihr ohne jede Sorge sein«, fuhr Calzabigi fort. »Ich bin glücklich verheiratet mit der jungen Madame Calzabigi. Ich werde sie nachholen, sobald mein Haushalt eingerichtet ist!«
»Ich wusste, dass wir uns darum keine Sorgen machen müssen«, stellte Hainchelin erleichtert fest und erhob sich. »Gleich morgen früh werde ich jemanden schicken, der Euch zu Eurer neuen Bleibe geleitet. Wegen der Einzelheiten der Lotterie sollten wir beide uns alsbald wieder besprechen.«
Calzabigi, der ebenfalls aufstand, grauste bereits jetzt davor. Er würde die Treffen mit diesem Mann so knapp wie nötig gestalten. »Ich bedanke mich sehr für Eure große Gastfreundschaft und kann es nicht abwarten, mit Euch zu kooperieren«, erklärte er zum Abschied und deutete eine Verbeugung an.
Kurz darauf stand Calzabigi wieder auf der Straße. Obwohl nun zahlreiche Aufgaben auf ihn warteten, spürte er eine tiefe Zufriedenheit in sich. Frohgemut marschierte er durch die Stadt. Während er sich umblickte, fühlte er sich keineswegs fremd, obwohl er noch nicht lange hier lebte. Nun hatte er die Gelegenheit, allem nachträglich einen Sinn zu verleihen: Seine gescheiterten Versuche, das Lotto in Paris und Brüssel einzuführen, erschienen mit einem Mal nicht mehr als Stolpersteine, sondern als Treppenstufen, die ihn hierhergeführt hatten. Niemals zuvor war er der Verwirklichung seiner Träume so nahe.
Plötzlich begann es zu schneien. Um ihn herum fiel der Schnee vom Himmel, und er fühlte in seinem Inneren die gleiche Leichtigkeit, mit der die Flocken sanft zu Boden schwebten.
»Di Calzabigi«, sprach er langsam vor sich hin und lächelte. Das klang gut.
Allerdings hatte er ein kapitales Problem: Er war unverheiratet und brauchte schleunigst eine Signora di Calzabigi. Nachdem er in den vergangenen Jahren keine gefunden hatte, musste er nun in
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