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Das Los: Thriller (German Edition)

Das Los: Thriller (German Edition)

Titel: Das Los: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tibor Rode
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das nicht gelesen habe …«, fauchte er.
    »Ich habe dir angeboten, es zu übersetzen«, erwiderte der Mönch unbefangen. »Du hast darauf verzichtet. Du hast es unterzeichnet. Damit gilt der Vertrag. Du bist doch der Anwalt …«
    Henri sprang auf und hob drohend die Faust. »Das ist Betrug!«, rief er empört.
    Aus dem Augenwinkel sah er, wie der Aufseher auf ihn zugeeilt kam. Nun erhob sich auch der Mönch, ergriff das Los und legte es dem verdutzten Henri direkt in die Hand.
    »Vertrau dem Herrn«, raunte er. »Du wärst nicht der erste Gefangene, den er in die Freiheit führt – wenn er dich denn für würdig erachtet.«
    Der Mönch trat einen Schritt zurück, als der Wachmann ihren Tisch erreichte. »Ist hier alles in Ordnung?«, fragte der und legte seine Hand an den Schlagstock an seinem Gürtel.
    Henri stand schwer atmend da, das Los in der Hand, und starrte auf den Mönch vor ihm.
    »Alles gut, er hadert nur mit seinem Los«, sagte der Mönch zum Beamten und zwinkerte dabei fröhlich mit den Augen.
    »Da ist er hier nicht der Einzige«, antworte der Wachmann, ergriff Henri am Arm und erklärte dann in einem betont freundschaftlichen Ton: »Ich denke, dieser Besuch ist nun zu Ende.«
    Henri ließ sich widerstandslos zum Ausgang geleiten, das Los und die Regeln in seiner Hand. Als er sich vor dem Verlassen der Kapelle noch einmal umdrehte, stand der Tisch, an dem er eben noch gesessen hatte, verlassen da. Vom Mönch war weit und breit nichts mehr zu sehen. Henris Blick fiel noch einmal auf das große Holzkreuz an der Wand, dann zerrte ihn der Wachmann zur Tür hinaus.

11
    M UMBAI
    Pradeep Kottayil war das letzte Rädchen einer gigantischen Recycling-Maschinerie.
    Den Müll, den die Ragpicker genannten Plastiksammler für dreizehn Rupien pro Kilogramm in der ganzen Stadt zusammensuchten, hatten die Sortierer für zwanzig Rupien pro Kilogramm nach Farbe, Verschmutzungsgrad und Verwertbarkeit geordnet. Die Putzer wiederum hatten es für zweiundzwanzig Rupien pro Kilogramm gesäubert und bereitgestellt. Pradeep, der einst als Plastiksammler angefangen hatte, war der Schmelzer, und seine Aufgabe bestand darin, die gesammelten, sortierten und gereinigten Plastikstücke in den Schlund einer Maschine zu schaufeln, die sie einschmolz und als buntes Granulat wieder ausspuckte. Er erhielt dafür dreißig Rupien pro Kilogramm, was nur gerecht war, da die Hitze neben dem Schmelzofen nahezu unerträglich war. Das fertige Granulat war vermutlich reiner als alles andere in Dharavi.
    Nur noch der Chef der aus drei Hütten bestehenden Recycling-Fabrik, Mr. Sandip, durfte die Pellets berühren. Man erzählte sich, er würde die fertig recycelten Plastikkörner für zwanzigtausend Rupien pro Kilogramm verkaufen. Pradeep wusste aber nicht, ob dies stimmte. Wenn Mr. Sandip eine der Delegationen von Männern in Anzügen durch seine Fabrik führte, liebte er es, einen der auf den Abtransport wartenden Säcke zu öffnen und das feine Granulat wie Getreide durch seine Finger rieseln zu lassen. »Aus diesem Plastikrohstoff, den ich hier in den Händen halte«, pflegte er stets zu sagen, »werden Produkte in der ganzen Welt hergestellt, vom Blackberry bis zur Wäscheklammer. Alles hat seinen Anfang hier im größten Slum Asiens – in Dharavi!«
    Pradeep mochte seinen Job. Als Kind hatte er lange Jahre auf der Straße gelebt und wie alle anderen Straßenjungen jeden Tag weiße Korrekturflüssigkeit geschnüffelt. Dabei hatte er das Glück, nicht seine Lungen, sondern nur seine Nase zu verätzen. Während viele seiner früheren Freunde nicht mehr richtig atmen konnten, war er nur nicht mehr in der Lage, etwas zu riechen. Für seine Arbeit am Plastikschmelzofen war der Verlust des Geruchsinnes allerdings ein wahres Geschenk. Er konnte nur an den Reaktionen der anderen erahnen, wie bestialisch die Dämpfe des schmelzenden Plastiks stinken mussten. So brannten nur seine Augen. Manchmal bekam er auch Hustenanfälle, weshalb er immer eine Flasche Wasser mit Ingwerknollen neben sich stehen hatte. Am Abend verschwanden diese Beschwerden jedoch rasch, und so konnte er gut mit ihnen leben. Die Rikschafahrer hatten Probleme mit ihren Gelenken und den Autoabgasen, die Wäschefärber wurden ganz betrunken von den Färbemitteln, und die Pflücker auf den Baumwollfeldern vor der Stadt bekamen einen Sonnenstich. Es gab eben keine Arbeit, die guttat, außer vielleicht der Schauspielerei.
    Neben dem guten Lohn war ein weiterer Vorteil seiner

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