Das Los: Thriller (German Edition)
Viertel wegziehen mussten. Dharavi war ein Ort aus der Vergangenheit und kein Platz für die Zukunft. Die Tatsache, dass dort nun auch noch die Malaria Einzug gehalten und drei seiner Liebsten krank gemacht hatte, war der letzte Anstoß gewesen.
Viele Hütten verfügten über Fernseher. Pradeep hatte allerdings kein TV-Gerät. Mit Leichtigkeit hätte er auf einem der Recyclinghöfe ein altes Röhrengerät organisieren können. Er hätte aber niemals die Gebühr für das monatliche Kabelfernsehen aufbringen können, das ein Funktionär der Shiv Sena Partei in Dharavi einspeiste. Jedoch besuchte er abends regelmäßig seinen Nachbarn Johnny, der als Taxifahrer arbeitete und sogar einen ganz flachen Bildschirm an der Decke hängen hatte.
Dort hatte Pradeep auch zum ersten Mal einen Bericht über die von der MHADA veranstaltete Lotterie gesehen. Von Jonny wusste er, dass die Maharashtra Housing and Area Development Authority, kurz MHADA, ein großes Gebäude in Bandra war. Jonny kategorisierte als Taxifahrer alles nach Gebäuden. Ein Fahrgast hatte ihm einmal erklärt, dass die MHADA von der Regierung gegründet worden war, um für die Armen in Maharashtra Wohnraum zu schaffen. Als Pradeep den Bericht im Fernsehen sah, erzählte eine Moderatorin, dass man sich für einen Betrag in Höhe von fünfzehntausendfünfzig Rupien bei der jährlichen Lotterie der MHADA anmelden konnte. Der Einsatz wurde auf einem Konto der MHADA hinterlegt, und schließlich fand die Verlosung statt. Viertausenddreihundertneunzig Lose gewannen je eine Wohnung an der Mira Road. Wenn man der glückliche Besitzer eines dieser Lose war, behielt die MHADA die fünfzehntausendfünfzig Rupien als Kaufpreis für die gewonnene Wohnung ein. Aufgrund der nahezu ins Unendliche gestiegenen Immobilienpreise in Mumbai war dies ein absoluter Spottpreis. In Wirklichkeit kostete eine solche Wohnung ein Vielfaches dieses Betrages. Gehörte man nicht zu den glücklichen Gewinnern, bekam man immerhin die fünfzehntausendfünfzig Rupien zurücküberwiesen. Allerdings, so die Frau im Fernsehen, konnte die Rücküberweisung aufgrund der Formalitäten einige Tage oder Wochen in Anspruch nehmen.
Pradeep hatte fasziniert zugehört und gewusst, dass dies seine Chance war. Seit er als Schmelzer arbeitete, hatte er immer etwas von seinem Lohn gespart. Vor einigen Wochen hatte er seine Ersparnisse aus der alten Kaffeedose, die ihm als Versteck diente, hervorgeholt und gezählt. Es waren auf die Rupie genau fünfzehntausend. Es konnte kein Zufall sein, dass ein Los der MHADA fast genauso viel kostete. Es musste ein Zeichen sein. Am nächsten Tag war er nach der Arbeit nicht nach Hause, sondern zu Pervez gegangen und hatte dort im Internet gesurft. Pervez reparierte alte Computer und betrieb in Dharavi ein Internetcafé, wie er es nannte – nur dass es bei ihm keinen Kaffee und auch keinen Tee gab. Die Internetleitung war schnell, Pervez zapfte sie irgendwo auf ihrem Weg durch den Slum an. Pradeep hatte sich die Webseite der MHADA angeschaut und die Teilnahmebedingungen studiert. Auch hatte er die bunten Zeichnungen der Wohnungen bestaunt, die es zu gewinnen gab.
Die Nacht darauf hatte er nicht schlafen können, vertraute sich jedoch Janni nicht an, der es im Moment etwas besser ging. Immerhin hatte er vor, ihre gesamten Ersparnisse einzusetzen. Sie nahmen selten etwas aus der Kaffeedose, hatten aber gerade jetzt, wo es Janni und den Kindern zumeist schlecht ging, das ein oder andere Mal Lebensmittel oder Medikamente, die sie nicht geschenkt bekamen, von dem Geld aus der Dose bezahlt. Dieses finanzielle Polster würde erst einmal für längere Zeit wegfallen. Sollten sie jedoch in der Lotterie gewinnen, wären sie gemachte Leute: Denn die Wohnungen lagen in einem besseren Viertel der Stadt, wodurch sich für Pradeep ganz neue Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnen würden, und waren außerdem so groß, dass sie problemlos einige Untermieter aufnehmen konnten. Allein von dieser Mieteinnahme würden sie zukünftig leben können. Vielleicht wäre es dann sogar möglich, die Kinder auf eine der besseren Schulen zu schicken. Nur verkaufen durfte man die gewonnene Wohnung in den ersten Jahren nicht, dies hatte er in den Teilnahmebedingungen gelesen. Er hatte in jener Nacht gespürt, wie sein Herz bei all diesen Gedanken schneller schlug und ihm ganz heiß wurde, und er hatte schon Angst gehabt, dass die Malaria nun auch ihn erwischt hatte.
In den vergangenen Tagen hatte er,
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