Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Los: Thriller (German Edition)

Das Los: Thriller (German Edition)

Titel: Das Los: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tibor Rode
Vom Netzwerk:
sie ihn in eines der Zimmer führte, die von einem langen Flur abgingen.
    Nachdem sie die Tür hinter ihnen zugeschlossen hatte, ließ sie sich auf ein großes Bett fallen, das mitten im Raum stand. Er schaute sich um. Außer dem Bett gab es eine Kommode mit Waschschüssel. Darüber hing ein Spiegel. Ansonsten war der Raum leer. Durch die geschlossene Tür war die Flötenmusik, die aus dem Erdgeschoss nach oben drang, nicht mehr zu vernehmen. Die plötzliche Stille, die sie beide umgab, drängte ihn in ihre Richtung.
    Sie war inzwischen auf die Bettkante gerutscht und wandte ihm den Rücken zu. Er verstand diese Geste, nahm neben ihr Platz und begann, mit umständlichen Handgriffen ihr Kleid aufzuschnüren. Ihm fehlte es an Übung. Plötzlich spürte er den Drang, sich vorzubeugen und ihren zarten Hals zu küssen. Verwundert schmeckte er Salz an seinen Lippen. Er griff nach ihrem Kinn und drehte ihr Gesicht in seine Richtung. Tränen liefen ihre Wangen hinab, ganz langsam, als wären sie zerbrechliche Glaskugeln, die vor dem Hinunterfallen beschützt werden müssten. Er ließ sie los und rückte ein Stück von ihr ab.
    Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und begann zu schluchzen. Durch ihr plötzliches Weinen fühlte er sich wie aus einem Traum gerissen. Von seiner Position aus konnte er in den Wandspiegel blicken. Dort sah er den Kaufmann Signore Brea aus Livorno, alt und ohne jeden Reiz, neben einem wunderschönen Mädchen sitzen, das bitterlich weinte. Er hob seinen Arm und legte ihn dem Mädchen auf die Schulter, die durch das heruntergerutschte Kleid nun vollkommen entblößt war. Von der Seite konnte er die Spitzen ihrer Brüste erkennen.
    »Weint Ihr bei anderen auch?«, fragte er.
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. Langsam verstummte das Schluchzen. Schließlich zog sie ihr Kleid nach oben und wandte sich zu ihm. Sie sah in an.
    »Ihr seid der Erste«, antwortete sie. »Der Erste überhaupt!« Auch wenn sie weinte, verlor sie nichts von ihrer natürlichen Schönheit. Im Gegenteil, die Verletzlichkeit machte sie nur noch attraktiver.
    »Ist dies Euer erster Abend hier?«, wollte er wissen.
    Sie nickte. Langsam schien sie sich zu beruhigen.
    Er stand auf, ging um das Bett herum, ergriff die Decke und reichte sie ihr. Sie nahm sie mit einem dankbaren Lächeln und hüllte sich darin ein. Dann setzte er sich wieder neben sie. Die alkoholgeschwängerten Wolken, die sein Hirn eben noch vernebelt hatten, waren verschwunden. Sein Kopf war nun wieder ganz klar.
    »Meine Mutter ist vor drei Jahren in Paris verstorben«, brach es aus ihr heraus. »Sie war die Witwe eines Wechselagenten und lebte nur von ihrer Pension. So hatte ich nichts, als ich allein zurückblieb. Eine Zeit lang lebte ich vom Erlös des Verkaufs unserer Möbel. Dann kam ich bei einer Cousine meiner Mutter hier in Genua unter, für die ich Stickereien anfertigte. Aber auch sie starb vor ein paar Monaten. Zuletzt wusste ich nicht mehr, wovon ich leben sollte, und da nahm mich Signora Pellegreni in diesem Haus auf. Ich kannte sie, weil ich einmal Stickereien an sie ausgeliefert hatte. Sie gab mir zu essen und sorgte für mich. Doch sie meinte vor Kurzem, die Zeiten seien hart, und nun soll ich ihr meine Schulden zurückzahlen. Weil ich dies nicht kann, muss ich sie nun abarbeiten.« Wieder begann sie zu schluchzen und wischte sich das Gesicht mit einem Zipfel der Decke ab.
    Er hatte ruhig neben ihr gesessen und aufmerksam zugehört. »Wie viel schuldet Ihr dieser Signora Pellegreni?«, erkundigte er sich nun.
    Sie hielt ihm drei Finger ihrer Hand entgegen. Er fasste an den prall gefüllten Geldbeutel, den er an seinem Gürtel trug. Egal, wovon sie drei schuldete, für ihn war es eine lächerliche Summe. Nachdem er kurz überlegt hatte, griff er in die Innentasche seines Rockes und holte einen Brief heraus, den er auseinanderfaltete. Er überflog einen Abschnitt. Dann schien er eine Entscheidung getroffen zu haben.
    »Ward Ihr schon einmal in Berlin?«, fragte er Marie, die ihn zuletzt verwundert beobachtet hatte.
    »Nein«, antwortete sie. »Nur in Paris und hier in Genua.«
    »Ein Freund von mir, Signore Calzabigi – eigentlich di Calzabigi –, hat mir geschrieben. Er stammt wie ich aus Livorno und hat nun eine Stellung am Berliner Hof. Er sucht eine …« Brea stockte kurz und fuhr dann fort: »Eine Kammerdienerin. Er fragt mich in diesem Brief, den ich gestern erst erhalten habe, ob ich ihm ein junges Mädchen empfehlen könne. Ich konnte es

Weitere Kostenlose Bücher