Das Los: Thriller (German Edition)
während er Plastik in den Ofen schaufelte, genügend Zeit gehabt, um über seinen Plan nachzudenken. Und nun war er sicher, dass er ein Los kaufen würde.
Heute am Sonntag war er also auf dem Weg zu Pervez. Zur Teilnahme an der Lotterie musste man ein Formular ausfüllen, das auf der Webseite der MHADA zum Download bereitstand. Dies sollte dann ausgedruckt und in einer der Filialen der AXIS-Bank abgegeben werden, wo auch die Teilnahmegebühr zu entrichten war. Als er das Internetcafé erreichte, klappte alles wie geplant: Pervez sah sich in einer Ecke des Cafés, das aussah wie alle anderen Hütten in Dharavi, laut fluchend das Cricket-Spiel an und interessierte sich nicht dafür, was sein Besucher ausdruckte. Schließlich steckte Pradeep sich das Formular der Wohnungslotterie unbemerkt in seine Hosentasche und lief zurück nach Hause, ohne dass Pervez von ihm überhaupt richtig Notiz genommen hatte.
Es war März, und nach den kühleren Temperaturen im Januar und Februar stieg das Thermometer nun wieder über dreißig Grad. Pradeep begann, leise vor sich hinzupfeifen. Was er nun nur noch brauchte, war Glück. Er folgte ein Stück weit dem Rinnsal aus einer ölig-schwarzen, schäumenden Flüssigkeit, das sich mitten durch die vielen Hütten seinen Weg zum Fluss Mahim bahnte, der den islamischen Bezirk vom Hinduteil des Slums trennte.
Schon bald würde er dies alles hinter sich lassen. Er würde mit seiner Familie in einem schicken Haus leben. Er, der so viele Jahre auf der Straße gelebt hatte. Der vom Plastiksammler bis zum Schmelzer aufgestiegen war. Der es schon als Glück empfunden hatte, mit seiner Frau nach der Heirat in der Hütte ihrer Eltern leben zu können. Er würde bald eine eigene Wohnung besitzen. Seine Kinder und seine Frau würden wieder ganz gesund werden.
Ein wohliges Gefühl durchströmte seine Brust.
»Salaam Bombay« , murmelte er, und er wusste nicht recht, warum.
12
G ENUA , 1763
Drei Nächte und zwei Tage hatte der Sturm an der Küste Liguriens gewütet und die Schiffe am Ein- und Auslaufen gehindert. In der Nacht hatte der Wind endlich gedreht. Nun schützte das im Rücken der Stadt steil ansteigende Gebirge des Apennin die kleine Seerepublik vor den stürmischen Winden. Im Hafen ging es seit dem frühen Morgen zu wie in einem Taubenschlag. Der Hafenkapitän hatte seine liebe Not damit, den Stau der ankommenden und abfahrenden Schiffe aufzulösen.
Für die Huren der Stadt bedeutete eine längere Schließung des Hafens stets eine besondere Anstrengung. Auf die unfreiwillig festgesetzten Schiffsbesatzungen, die sich die Zeit an Land vertreiben mussten, folgten mit einem Schlag Hunderte, nach langer Seefahrt ausgehungerter Matrosen, die bei ihrer Ankunft die Tavernen und Lusthäuser stürmten. Jedes weibliche Geschöpf, welches seine Ehre bereits verloren hatte oder aber sie zu verlieren bereit war, hatte in diesen Stunden einen Preis.
Signore Brea wusste dies. Er war ausgerechnet an diesem Morgen von Livorno kommend auf dem Landweg eingetroffen. Nachdem die Zöllner fast den gesamten Vormittag die Steuer für die Einfuhr seiner Waren berechnet und in ihren großen Folianten penibel mit Herkunft, Menge und Bestimmungsort vermerkt hatten, war er am Nachmittag zu seinen Kunden gefahren, um insgesamt siebenundzwanzig Ballen Seide auszuliefern. Nun stand er mit vollem Geldbeutel und leerem Magen vor einem Torbogen, hinter dem ein schmaler Weg hinauf zu einem etwas erhaben gelegenen Palazzo führte. Bei seinen sonstigen Besuchen mied er diese teure Art der Unterhaltung, aber ihm war nicht danach, in einer überfüllten Taverne erst auf das Essen und dann auf eine freie Hure zu warten. Er hatte heute einen guten Schnitt erzielt, und ein erfolgreicher Kaufmann konnte sich auch einmal selbst belohnen.
Kaum hatte er den schweren Ring mit dem Löwenkopf gegen die mächtige Holztür geschlagen, öffnete ihm eine Dame im gesetzten Alter. Mit einem neckischen Lächeln nahm sie seinen Mantel ab und führte ihn, ohne dass er etwas sagen musste, in den Salon. Er war erst einmal hier gewesen, und die Eleganz der Einrichtung überwältigte ihn jetzt aufs Neue. An vornehm gedeckten Tischen dinierten gut gekleidete Herren. Zu einigen hatten sich junge Damen gesellt, deren schweres Parfüm und heiteres Lachen den Raum erfüllten. Zwischen den Tischen huschten Diener mit Tabletts voller Köstlichkeiten umher. In einer Ecke des Raumes musizierte ein Quartett.
Die Empfangsdame führte ihn zu einem kleinen
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