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Das Los: Thriller (German Edition)

Das Los: Thriller (German Edition)

Titel: Das Los: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tibor Rode
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selbst würde öffnen können, um den Kopf hineinzustecken und zu schauen, ob jemand da war. Doch wer auch immer vor der Tür stand – er öffnete sie nicht einfach, nein, er wartete vielmehr darauf, dass er die Erlaubnis dazu erhielt. Wie ein Vampir, der ohne Einladung keine Türschwelle überschreiten darf, dachte Carter.
    Sein Blick fiel auf Marc. Der kauerte vor ihm und sah ihn unsicher an. In seinen Augen erkannte er Angst – und Mitleid. Ein Schmerz durchzog seine Brust. Was war aus ihm geworden, dem großen Carter Fields? Jemand, der sich in einem schäbigen Büro im Meatpacking District vor seinen Anlegern verstecken musste und der mitleidige Blicke seiner Mitarbeiter erntete? Nein, das war nicht der Carter Fields, den er in den vergangenen Jahrzehnten aus der Masse Mensch geformt hatte, die er beim Heranwachsen vorgefunden hatte.
    »Herein!«, rief er mit fester Stimme und richtete sich in seinem Stuhl auf, als gelte es, dem Teufel höchstpersönlich entgegenzutreten.
    Auch Marc drehte sich gebannt um.
    Langsam senkte sich die abgegriffene Klinke, und der Spalt der geöffneten Tür wurde größer und größer. Zuerst gab die Lücke zwischen Tür und Rahmen den Blick auf den im Dämmerlicht liegenden Flur frei, dann schob sich ein Gewand aus braunem Stoff dazwischen.

15
    M UMBAI
    Die Teilnahme an der großen Wohnungslotterie hatte sich problemlos gestaltet. Wie so oft in der letzten Zeit hatte er die Nacht davor nicht schlafen können und den nächtlichen Geräuschen seiner Familie gelauscht. Die kleine Pandita atmete schnell, und daran erkannte er, dass sie wieder unter Fieber litt. Er hatte sich nicht getraut, zur Bestätigung ihre Stirn anzufassen.
    Am Morgen war er vor den anderen aufgestanden, hatte heimlich den gesamten Inhalt der Kaffeedose an sich genommen und in seinem Hosenbund verstaut. Dann war er durch die auf das Erwachen der Bewohner lauernden Gassen von Dharavi zur Recyclingfabrik geeilt. Den Vormittag über konnte er sich kaum auf seine Arbeit am Hochofen konzentrieren und stellte sich immer wieder vor, wie das Bündel Geldscheine, das er am Körper trug, in einem unbedachten Moment in die Glut vor ihm fiel und verbrannte. Der Vorarbeiter musste ihn mehrmals ermahnen, schneller zu arbeiten, und voller Erleichterung rettete er sich schließlich in die Mittagspause. Auf dem Weg zur nahen Filiale der AXIS-Bank an der Subhash Chandra Bose CHS Station Road versuchte er, unsichtbar zu sein, um auf den letzten Metern nicht noch ausgeraubt zu werden. Erstmals in seinem Leben betrat er schließlich den Schalterraum einer Bank und fühlte sich endlich sicher, als er die beiden Wachmänner am Eingang passierte. Zur Teilnahme an der Lotterie musste er ein Konto eröffnen und darauf die fünfzehntausendfünfzig Rupien einzahlen. Bevor er die Geldscheine durch den schmalen Schlitz des Bankschalters schob, verpasste er ihnen noch einen letzten Abschiedskuss.
    Die freundliche Dame hinter dem Tresen, die mit ihrem frisierten Haar und der Uniform so hübsch und rein aussah wie aus einer Werbung im Fernsehen, erklärte ihm, dass das Geld von seinem Konto als »sogenanntes EDM« auf das Konto der MHADA Lottery transferiert würde. Dort bliebe es bis zur Ziehung in zwei Wochen als Sicherheit liegen. Sollte die Nummer seiner Anmeldung gewinnen, würde das Geld eingezogen und als Kaufpreis für die gewonnene Wohnung an der Mira Road dienen. Gewänne seine Nummer jedoch nicht, was sie ihm natürlich nicht wünschte, würde er das EMD innerhalb von sieben Tagen auf sein neu eröffnetes Konto zurücküberwiesen bekommen und könne wieder frei darüber verfügen. Im Übrigen sei das Geld auf dem Konto besser aufgehoben als in seinem Zuhause, fügte sie hinzu, und Pradeep glaubte ihrem strahlend weißen Lächeln. Mit einem Durchschlag seiner Anmeldung hatte er die Bank wieder verlassen, argwöhnisch verfolgt von den Blicken der Wachleute.
    Auf ein Mittagsmahl verzichtete er, da er jetzt nur noch zehn Rupien besaß und weil er die Mittagspause sowieso bereits überzogen hatte. Den Nachmittag über spürte er eine enorme Energie und holte die Eimer, die er am Morgen nicht geschafft hatte, mit Leichtigkeit auf, sodass der Vorarbeiter ihm zum Feierabend wohlwollend auf die Schulter klopfte und ihm sogar eine Cola spendierte. Mit der Colaflasche in der Hand schlenderte er nun durch die Straßen seines Slums nach Hause und verabschiedete sich dabei in Gedanken von jeder Hütte, jeder Straßenecke und jedem Bewohner, dem er

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