Das Los: Thriller (German Edition)
nichts mehr. Alles Geld, was sie heute Morgen noch besaßen, wartete nun auf dem Konto der MHADA auf den großen Tag der Ziehung, der derjenige Tag werden sollte, an dem alles in ihrem Leben besser würde.
Pradeep wurde durch ein sanftes Stöhnen aus seinen Gedanken gerissen. Mit ihm blickten alle hinüber zu der kleinen Pandita, die dem ersten Stöhnen ein zweites, nun sehr viel lauteres, folgen ließ.
16
B ERLIN , 1763
Hainchelin saß an seinem Schreibtisch und starrte auf das Gemälde an der Wand vor sich. Es zeigte den König, der hoch zu Ross in die Schlacht ritt, die Kavallerie einige Pferdelängen hinter sich lassend. Er war der erste König, der sich im Kampf nicht hinter Schlachtplänen versteckte, sondern in erster Reihe den Kugeln entgegenritt. Todesmutig, sagten seine Bewunderer, todessehnsüchtig nannten es die anderen.
Hainchelin seufzte. Dieser König bereitete ihm nur Kummer. Erst der unsinnige Krieg, bei dem es um nichts ging als um des Königs Ruhmeslust. Als Finanzrat war es an ihm gewesen, die Kriegskasse zu führen. Eine Aufgabe, als würde man Musik ohne Noten komponieren.
Und nun, wo die Zeit des Kampfes endlich beendet war, ernannte er ihn zum Kontrolleur über das Teufelsspiel dieses windigen Italieners.
Wie konnte überhaupt ein Italiener den Preußen vorschreiben, wann das Glück sie ereilte?
Der König suchte sein Glück schon lange außerhalb Preußens, ob im Krieg, in der Kunst oder der Sprache. Wie konnte es sein, dass Franzosen und Italiener den Hof bevölkerten, während die Deutschen zu Hause saßen und dem regen Treiben nur zuschauten? Es gab Empfänge am Hof, auf denen er, dessen Französisch nicht das beste war, von der Konversation kaum noch etwas verstand.
Und nun diese italienische Pest des Lottospiels.
Die Ständeordnung war über Jahrhunderte hinweg entstanden. Starke Geschlechter hatten sich durchgesetzt und lenkten als Adel die Geschicke des Landes, während die schwachen Geschlechter ihren Platz auf den Feldern und in den Gossen gefunden hatten. Und nun sollte die Lotterie diese Selektion der Natur mithilfe einer Laune der Fortuna durcheinanderwerfen? Plötzlich sollte ein Bauer, der einen Groschen einsetzte und ein paar Zahlen im Voraus erriet, zu Reichtum gelangen können? Ohne Blut vergossen zu haben, ohne den Einsatz seiner Väter und Urväter? Wenn dies das neue Preußen sein sollte, in dem man auf sein Glück anstatt auf seine Kraft vertraute, dann war das nicht mehr sein Preußen.
Es war an ihm, diese Entwicklung zu korrigieren. Der König hatte ihn, ohne es zu beabsichtigen, in die Position versetzt, etwas dagegen zu unternehmen. Der Italiener hatte diese Lotterie eingeschleppt, und mit ihm würde sie wieder aus Preußen verschwinden.
Noch schlimmer war, dass Calzabigi ihm auch noch sein schon sicher geglaubtes Tabak- und Bankenmonopol zu stehlen versuchte. Mehrere hunderttausend Taler war dies wert. Er musste alles Menschenmögliche unternehmen, damit nicht auch dies noch in die Hände dieses Unruhestifters geriet. Nicht nur die Zukunft seiner Familie hing davon ab, dass Calzabigi scheiterte, sondern die Zukunft des ganzen Staates.
In den vergangenen Wochen hatte er bereits damit begonnen, es Calzabigi so schwer zu machen, wie es nur ging, ohne dabei nach außen seine Kompetenzen zu überschreiten.
Er hatte einen Brief nach Brüssel geschrieben, wo Calzabigi mit einer Lotterie bankrottgegangen war. Sein Gewährsmann dort wusste nicht viel zu berichten, was er ihm aber schrieb, ließ kein gutes Haar an dem Parvenü. Anonym hatte er die Informationen an den König weitergeleitet.
Rasch hatte er bemerkt, dass Calzabigi einen Hang zum Flüchtigen besaß. So war es nur logisch, dass er als Kontrolleur die Bürokratie in der Lotterie eingeführt hatte. Mit großer Freude beobachtete er die Nöte des Italieners, sich an die von ihm aufgestellten und vom König gegengezeichneten Richtlinien und Vorgaben zu halten. Mit Dokumenten, das wusste Hainchelin, konnte man Geschichte dokumentieren, aber auch aufhalten.
Sein letzter Winkelzug war der beste: Er hatte verfügt, dass Deutsch die Amtssprache in der Lotteriebehörde sein sollte. Keine Notiz sollte mehr auf Französisch geschrieben sein. Er hatte sich nicht getraut, diese Anordnung dem so frankophilen König vorzulegen. Aber er wusste, dass sie Calzabigi vor erhebliche Probleme stellen würde, der auch heute, nach vielen Monaten in Berlin, noch nicht einmal in der Lage war, auf Deutsch zu grüßen. Bei der
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