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Das Los: Thriller (German Edition)

Das Los: Thriller (German Edition)

Titel: Das Los: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tibor Rode
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auf seinem Weg begegnete. Bald schon würde er dies alles hinter sich lassen, so wie er seine Kindheit auf den Straßen von Andheri bereits hinter sich gelassen hatte.
    Er erinnerte sich daran, wie sie als Kinder eines Abends rauchend auf den Ghats gesessen hatten, den Treppen, die hinter der Altstadt von Varanasi hinunter zum Ganges führten. Während sie dem Treiben um sich herum zugeschaut hatten – den Ohrenputzern, den heiligen Männern, Sadhus genannt, den Bootsleuten, die ihre Ausflugsfahrten anpriesen, den Drogendealern und den Touristen, die wie Antilopen an der Wasserstelle zwischen all diesen Löwen umherirrten –, hatte Ganesh, einer der älteren Jungs, auf ein Feuer am Ende der Verbrennungsghats gedeutet.
    »Das Leben ist wie diese Ghats!«, hatte Ganesh genuschelt. »Man wird geboren, und dann geht es Stufe für Stufe abwärts, bis man unten angekommen ist, verbrannt wird und als Asche im Fluss landet.«
    Und dann hatte er an dem Zigarettenstummel in seiner Hand gezogen, und seine Worte hatten sich mit dem Aufglimmen der Glut in Pradeeps Gehirn gebrannt.
    Seitdem hatte er nur noch ein Ziel gehabt: die Treppenstufen des Lebens hinaufzusteigen – und nicht immer weiter hinab. Mit der Heirat, seinen drei Kindern, dem Heim in Dharavi und seiner Arbeit hatte er es seit damals schon ein gutes Stück nach oben geschafft. Mit dem Gewinn einer Wohnung in der MHADA-Lotterie würde er auf der Treppe noch ein gutes Stück weiter nach oben kommen. Er war zufrieden mit diesem Vergleich und nahm einen weiteren Schluck aus der Colaflasche.
    Als er endlich die Zeile erreichte, in der sich ihre Hütte befand, konnte er schon von Weitem sehen, dass etwas nicht stimmte. Janni stand mit ihren Eltern vor dem Eingang. Zwischen ihren Beinen erkannte er Gayoor und Parvez, die neugierig versuchten, einen Blick in die Hütte zu werfen. Irgendetwas schien seine Familie aus dem Inneren der Behausung vertrieben zu haben. Von der kleinen Pandita war weit und breit nichts zu sehen. Und genau dies war es, was Pradeep am meisten beunruhigte, denn er wusste, dass sie ohne ihre Mutter keinen Schritt unternahm.
    Während er die halb volle Colaflasche wie unnützen Ballast zur Seite warf, beschleunigte er seinen Schritt. Janni erschrak, als er sich neben sie drängelte, um in die Hütte zu schauen. Darin erkannte er den weißen Kittel eines Arztes, der sich gemeinsam mit einer Frau, die Pradeep für eine Krankenschwester hielt, über Pandita beugte.
    »Was ist mit ihr?«, rief Pradeep bestürzt ins Dunkle des Raumes hinein.
    Statt einer Antwort gab Janni ein Schluchzen von sich und schlug sich einen Zipfel ihres knallpinken Saris vor das Gesicht. Er schob sie zur Seite und betrat die Hütte.
    »Was ist mit ihr?«, wiederholte er, nun mehr ärgerlich als ängstlich.
    Pradeep sah, wie die Krankenschwester ein feuchtes Tuch auf Panditas Stirn presste. Seine kleine Tochter hatte ihre Augen geschlossen, und fast hätte man ihren Schlaf als friedlich bezeichnen können, wären nicht unter den geschlossenen Lidern die schnellen Bewegungen ihrer Pupillen zu erkennen gewesen.
    Der Arzt wandte sich zu ihm. »Mein Name ist Dr. Sadasivan Nair. Sind Sie ihr Vater?« Bei dem Wort »ihr« deutete er auf Pandita.
    Pradeep nickte und schaute am Doktor vorbei auf seine Tochter.
    »Ihre Frau hat uns heute gerufen. Es geht ihr nicht gut. Ich fürchte, die Malaria hat eine Anämie hervorgerufen.«
    Dr. Sedasivan Nair machte eine Pause, als wolle er Pradeep Zeit geben, seine Worte zu verstehen.
    »Sie muss dringend ins Krankenhaus und Medikamente bekommen«, fuhr der Doktor fort und zögerte plötzlich.
    Pradeep wusste, was der nächste Satz sein würde, er hatte diese Situation schon häufiger erlebt. Nur schien es keinem seiner Lieben dabei jemals so schlecht gegangen zu sein wie jetzt seiner Tochter.
    »Eine solche Behandlung ist teuer!« Der Doktor seufzte diese Worte mehr, als dass er sie aussprach.
    Von hinten legte sich Jannis Hand auf Pradeeps Schulter. »Das Geld aus der Kaffeedose«, hauchte sie aufgeregt in sein Ohr. »Gib es ihm!«
    Pradeep schaute in ihr von Sorge und Krankheit ausgezehrtes Gesicht, dann in die hoffnungsvoll aufblitzenden Augen des Arztes vor ihnen. Sein Blick schwenkte hinüber, dorthin, wo die Kaffeedose unter seinem Nachtlager vergraben war. In Gedanken grub er sie aus und fühlte in sich dieselbe Leere aufsteigen, die ihn beim Öffnen der Dose erwarten würde.
    Außer zehn Rupien, die er am Leib trug, besaßen sie im Moment

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