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Das Los: Thriller (German Edition)

Das Los: Thriller (German Edition)

Titel: Das Los: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tibor Rode
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schneller zu arbeiten.
    Calzabigi wurde noch immer nicht – selbst jetzt, wo er die Waisen beinahe berührte – von ihnen beachtet und wandelte durch ihre Mitte wie durch eine Halle voller menschenähnlicher Maschinen.
    Endlich blieben sie vor einer letzten Tür stehen, und nach vorsichtigem Klopfen der Hexe betraten sie einen weiteren Raum. Er war deutlich heller, die hohen Fenster fluteten das Zimmer mit Sonnenlicht. Auch die Luft war sehr viel angenehmer zu atmen. Eine Frau, die ebenfalls eine Haube trug, im Gegensatz zu der hässlichen Jungfer aber mit beinahe reizendem Aussehen gesegnet war, begrüßte ihn freundlich.
    »Ich bin Madame Toussin«, stellte sie sich selbst mit samtweicher Stimme vor. »Und Ihr müsst Signore di Calzabigi sein?«
    Er nickte zustimmend und deutete eine Verbeugung an.
    »Nun ja, da Ihr auf Empfehlung des Königs kommt, kann ich Euch Euren Wunsch wohl kaum ausschlagen«, säuselte Madame Toussin.
    »Ich bin Euch zum Dank verpflichtet«, erwiderte Calzabigi.
    Trotz des süßen Tons, den Madame Toussin anschlug, war deutlich zu spüren, dass er mit seinem Anliegen hier nicht wirklich willkommen war. Man duldete ihn also nur, weil er sich des Segens des Königs versichert hatte.
    »Welches kann ich … mitnehmen?«, fragte Calzabigi, der über den Klang seiner eigenen Worte erschrocken war. Als würde er Brot oder Fleisch kaufen.
    »Sucht Euch eines aus. Ihr wisst am besten zu beurteilen, welches für Euren Zweck geeignet ist. Wir haben große und kleine, schwache und starke. Ein paar sind sogar schon geschlechtsreif.«
    Calzabigi blickte sie irritiert an. Dann schüttelte er sich angewidert und deutete mit dem Finger auf die Tür hinter sich. »Darf ich fragen, was die Kinder dort so emsig arbeiten?«
    »Sie spinnen Wolle und Baumwolle auf.«
    »Erstaunlich«, stellte Calzabigi fest. »Mit welchem Fleiß und welcher Akribie sie bei der Sache sind. Ihr müsst gute Argumente haben …«
    »Allerdings!«, antwortete Madame Toussin.
    Sie warf der Zahnlosen, die immer noch neben Calzabigi stand, einen wissenden Blick zu, die darauf zu kichern begann.
    »Waisenkinder sind von Natur aus widerspenstige Wesen«, fuhr Madame Toussin fort. »Wenn sie aufgegriffen werden und hierher kommen, haben sie zumeist Monate oder Jahre auf der Straße verbracht mit Nichtstun, Bettelei oder Unfug. Hier bringen wir ihnen wieder Disziplin bei, und sie lernen, für ihr Essen zu arbeiten. Das ist unser Verdienst.« Sie sprach nun mit strengem Ton, der Calzabigi erschaudern ließ.
    »Wie hart lasst Ihr diese Geschöpfe schaffen?«, wollte er wissen. Er rief sich die blassen Gesichter ins Gedächtnis.
    »Zehn Stunden am Tag. Selten mehr und fast nie in der Nacht. Daneben können sie ihre Zimmer in Ordnung halten und schlafen. Und essen.«
    »Und keines tanzt aus der Reihe?«, fragte er ungläubig. Calzabigi kannte das Wesen von Kindern. Sie wie Soldaten arbeiten zu sehen, hatte ihn auf eine seltsame Art erschüttert.
    »Kommt, dann könnt Ihr sehen, wie man diese Gören zum Arbeiten bekommt!«
    Die Madame öffnete die Tür zur Arbeitsstube. Im Nebenraum bot sich ihnen dasselbe Bild wie eben. Ein gutes Dutzend Jungen und Mädchen arbeitete emsig vor sich hin. Die Leiterin des Waisenhauses bog in der Mitte des Raumes plötzlich scharf ab und steuerte auf einen Durchgang zu, der hinter Regalen von Wolle versteckt lag. Gemeinsam mit der Hexe schob sie ein Regal zur Seite.
    Als Calzabigi sich an eng nebeneinanderstehenden Spinnrädern vorbeidrängte und dann bei den beiden Frauen stehen blieb, glaubte er, in den Augen zweier arbeitender Mädchen, die ihm am nächsten waren, zum ersten Mal so etwas wie eine Regung zu erkennen: Beide schauten verstohlen mit ängstlichem Blick zu ihnen herüber. Als Calzabigi sich umdrehte, waren seine beiden Gastgeberinnen bereits durch eine schmale Öffnung in der Wand verschwunden. Er zog den Bauch ein und zwängte sich ebenfalls durch die Lücke. Dahinter war es dunkel. Als er sich langsam an das Licht gewöhnt hatte, traute er seinen Augen nicht. Auf Tischen vor ihnen lagen vier, vielleicht fünf Kinder. Im Halbdunkeln konnte Calzabigi nicht erkennen, welchen Geschlechts sie waren. An den Tischenden hatte man jeweils über große Winden Seile gespannt, die an den Händen und Füßen der Waisen befestigt waren und deren Gliedmaßen weit auseinanderstreckten, sodass die Kinder aussahen wie zum Trocknen aufgehängte Wäsche. Calzabigi vernahm ein leises Wimmern.
    »Hast du wieder daran

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