Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
wieder da. Die Atmosphäre kam zurück, beim Anblick der alten Artikel roch es plötzlich nicht mehr nur nach Staub und vergilbtem Papier, sondern nach bestimmten Parfums oder Putzmitteln, nach Zigaretten und Alkohol, ich glaubte sogar den gedämpften Lärm zu hören, der vor einem Konzert in die Garderobe dringt, in der anschließend die Interviews stattfinden. Alles war wieder da, ganz lebendig.
Nach unserem gelungenen Auftakt im Budapester Kis-Stadion spielten wir unaufhörlich.
Rund zwanzig Auftritte pro Monat, dazu die ganzen Proben, Interviews geben, mich dazwischen wieder herrichten, mit passender Kleidung versorgen, zu Fernsehdrehproben und Radiosendungen erscheinen – solche Dinge nahmen seit dem Sommer 1974 meine Zeit in Anspruch. Der Erfolg kam beinahe über Nacht und war überwältigend. Unsere erste LP – sie hieß wie wir und kam 1975 auf den Markt – verkauften wir aus dem Stand eine halbe Million Mal.
Die Presse reagierte darauf. Zwar hatte es vorher schon kleinere wohlwollende Artikel gegeben wie den folgenden aus dem Jahr 1973. Damals hatte ich in Berlin einen Gastauftritt mit Modern Soul, einer angesagten Band absolviert. Die erfolgreichsten Musiker der DDR gingen gelegentlich neue Fusionen untereinander ein – für Spezialtourneen und um dem Publikum neue Reize zu bieten. So war ich kurzzeitig bei Modern Soul gelandet. Einen Auftritt mit ihnen kommentierte die Zeitung Die Union so: ›Me and Bobby McGee‹ den Welthit der Soulmusik, sang sie völlig neu. Beim Beginn dieser vertonten Ballade war ihre Stimme noch verhalten und steigerte sich dann bis zum ›Beinah-Überschlag‹, der Besonderheit ihres Gesangs, die, bewusst ausgenutzt, eine faszinierende Wirkung hat.«
So freundlich beschrieben, kann man schon Vertrauen bekommen zu Journalisten.
Etwas später hieß es in einer anderen Zeitung: »Im Januar dieses Jahres gab Veronika Fischer ihren Austritt von Panta Rhei bekannt. Inzwischen hat sie sich eine eigene Band aufgebaut. Veronika will noch eine größere Vielfalt im Repertoire erreichen. Ihre musikalische Skala erstreckt sich jetzt vom Soul über Jazz bis hin zum rhythmisch betonten Schlager.«
Ein halbes Jahr später traute man uns schon Größeres zu. Am 15. August 1974 schreibt ein Insider: »Eine DDR-Tournee werden Veronika Fischer und ihre neu formierte Gruppe Anfang September beginnen, bei der sie in der Fernsehsendung Berlin original , in einer öffentlichen Beat-Kiste des Rundfunks in Neustrelitz und schließlich im Berliner Friedrichstadt-Palast in Rhythmus 74 auftreten. Zuvor gastieren die Künstler in Budapest.«
Was wollten wir mehr…
Natürlich wollten wir mehr! Obwohl als Band noch recht neu waren wir überzeugt, was unsere Musik anging. Für mich und meinen Ehrgeiz hatte Kurt Demmler als einer der ersten scharfe Worte gefunden und in einem Artikel gleich den behäbigen Unterhaltungskulturbetrieb der DDR mit aufs Korn genommen: »Für ein internationales Festival ist sie bislang leider nicht vorgesehen. Vielleicht will man sie dazu erst so alt werden lassen, wie die bisher gesendeten Vertreter der DDR dort ausgesehen haben. Das hoffe ich nicht. Veronika Fischer wartet nicht untätig. Sie arbeitet. Aber an der Bretterwand ihres Etagenklos hängt schon eine Weltkarte.«
Es passierte plötzlich so viel und so schnell, dass ich manchmal einen Schritt zurücktreten und in Ruhe durchatmen musste. Und wären mir die Hefter und Schuhkartons voll mit Presseartikeln nicht über vierzig Jahre gefolgt – den genauen Überblick über unsere Aktivitäten damals hätte ich längst nicht mehr.
Die Festivalauftritte begannen, wir nahmen zum Beispiel an der ersten »Musikauktion« in Jena teil (so hieß das Rockfestival) und wurden vom Publikum gleich auf den ersten Platz gesetzt. Es folgten Auftritte im tschechischen Fernsehen, in Rumänien und Polen.
Ein Jahr nach unserer Gründung (bislang hatten wir ja »nur« eine Platte am Start) lief es wie am Schnürchen. Ein Autor der DDR-Satirezeitschrift Eulenspiegel blickte im Januar 1976 auf unser erstes Erfolgsjahr zurück: »Das Jahr 1975 war für die Fischerfamilie das reine Goldjahr: Ausverkaufte Konzerte, Auslandsgastspiele, ein erster Preis beim Schlagerfestival in Dresden und den NBI-Pressepreis noch dazu, den ersten Platz bei Einmal im Jahr im Fernsehen und in der DDR-Hitparade des Rundfunks die Plätze 1, 3 und 10. Den schönsten Erfolg verbuchte Vroni jedoch kurz vor Jahresende. Ein Elektriker hielt Wort und verlegte eine
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