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Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Titel: Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Fischer , Manfred Maurenbrecher
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1974
    © Klaus Fischer.

Der Auftritt sollte an einem Juliabend um achtzehn Uhr stattfinden, dreißig Minuten waren eingeplant. László fuhr zwei Tage früher ab, um alles vorzubereiten. Meine jüngste Schwester Kerstin begleitete ihn, denn wir wollten nach dem Auftritt gemeinsam ein paar Tage privat am Balaton abhängen.
    Wir Musiker flogen an einem schönen Sommertag gegen zwölf Uhr von Berlin, Hauptstadt der DDR, mit der Interflug nach Budapest. Als wir ausstiegen, knallte eine unbarmherzige Sonne auf uns nieder, 38 Grad im Schatten. Der Atem stockte, die Luft stand still. Mir war flau im Magen.
    Vom Flughafen fuhren wir direkt ins Stadion, wo László uns bereits erwartete, um uns alles Notwendige zu zeigen. Wir besichtigten gerade die Garderoben, als er mir von seiner neuesten Idee erzählte. Ein Wahnsinnseinfall: Beim »Blues von der letzten Gelegenheit« sollten Brieftauben von der Bühne auffliegen, die Wirkung sei bestimmt irre, er habe schon alles organisiert. An Ideen mangelte es ihm nie, nur überschätzte er manchmal die Ausführungsmöglichkeiten…
    Er bat mich, die Tauben mit ihm zusammen bei einem Züchter abzuholen, bis zum Soundcheck sei dafür noch genügend Zeit. Ich weiß nicht, wo ich mit meinen Gedanken war, als ich einwilligte. Wir mussten einmal quer durch die Stadt und zurück, im dicksten Verkehr und bei brütender Hitze, eine ewig lange Fahrt, zurück mit zwei Käfigen voller Brieftauben, die auf dem Dach unseres Schiguli mit Stricken befestigt waren. Ich hätte mich vor dem Auftritt lieber schonen sollen. Zurück im Stadion war ich völlig erschöpft, gleichzeitig stand ich so unter Strom, dass ich kaum wusste, wohin mit mir. Ich versuchte mich zusammenzureißen, sang mich ein, schminkte mich für die Bühne und zog mich um. Hätte jemand ein Streichholz neben mir angezündet, wäre ich wahrscheinlich explodiert. So angespannt war ich. Als ich aus der Garderobe trat, warteten meine Kollegen in ihren »Assietten« vor der Tür – das Wasser lief ihnen jetzt schon in Strömen über die Gesichter.
    Draußen im Kis-Stadion warteten fünfzehntausend Menschen darauf, dass es endlich losging. Vor so einer gewaltigen Menschenmenge hatte ich noch nie gestanden. Aber Zeit, in Panik zu verfallen, blieb nicht, die Band betrat bereits die Bühne für das Intro. Die ersten Lieder rasten regelrecht an mir vorbei. Ich funktionierte wie ein Stehaufmännchen und sang, was das Zeug hielt. Ich weiß nicht mehr, was ich hörte, ob ich überhaupt etwas hörte von dem, was ich sang. Die Ansagen zwischen den einzelnen Songs machte ich auf Ungarisch. Damals konnte ich die Sprache noch nicht so gut, machte sicher einige Fehler, aber es war auch eher als Geste gedacht. Und, große Freude: Wir wurden freundlich von den Menschen angenommen, sie klatschten, obwohl sie die Texte der Songs nicht verstanden. Dann war es so weit: Der »Blues von der letzten Gelegenheit« erklang, und siehe da, die Tauben flogen auf und davon. Das Publikum jubelte. Die Wirkung war tatsächlich überraschend.
    László hatte die richtige Idee gehabt.
    Nach unserem Auftritt fiel die ganze Anspannung schlagartig von uns ab, wir waren erleichtert, alle redeten durcheinander. Ich musste zur Toilette – und brach dort erst einmal in Tränen aus.
    Ich hatte einen Nervenzusammenbruch, das konnte ich nicht verhindern. Nach einer Weile beruhigte ich mich und ging zurück zu den anderen. Mir war klar geworden, dass der Weg zum Erfolg kein leichter ist.
    Und es würden nicht die letzten Tränen sein.
    Jetzt wurde aber erst mal gefeiert.
    Und feiern kann ich auch, wenn das andere geschafft ist!
    Ein Karton voll mit Erinnerungen
    Die Schuhkartons mit Zeitungsartikeln, die Ordner, die meine Mutter in den ersten Jahren meiner Karriere sorgfältig zusammengestellt hatte, all die ganzen Schnipsel, die sie in irgendeiner Zeitung über mich gefunden, ausgeschnitten und eingeheftet hat – das alles habe ich jahrzehntelang kaum beachtet. Immer nur mitgenommen, von Umzug zu Umzug ins Regal gestellt oder im Keller verstaut. Ganz selten öffnete ich die Kartons, weil ich etwas Bestimmtes suchte. Aber dann schnell wieder weg damit, bevor man abgleitet in sentimentale Erinnerungen. Lieber den Kram irgendwo an der Seite belassen und den Ball flach halten.
    Erst jetzt, bei der Arbeit an diesem Buch, habe ich mir die Zeit genommen, die alten gedruckten Seiten in Ruhe durchzusehen. Lange vergessene Gesichter tauchten dabei wieder auf, alles war mit einem Mal

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