Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
gesehen hatten mit dem großen Bett darin, in dem er die kleinen Mädchen »unterrichtete«. Mit diesem Vorwissen hätte ich mein Kind niemals zu Kurt in die Wohnung gelassen, und es ist für mich heute noch schwer zu verstehen, wie diese Mütter gehandelt haben. Kann man – nur aus Hoffnung auf den Erfolg – wirklich so blind sein?
Kurt Demmler ist durch sein Können und seinen Fleiß zum Millionär geworden. Ich hätte ihm gewünscht, dass er als älterer Herr nach den vielen Erfolgen seinen Lebensabend friedlich und mit Altersgrandezza hätte verleben können, mit einem wunderschönen Haus am See in Brandenburg, mit einer Familie in Leipzig und einer Berliner Stadtwohnung. Dazu war er nicht in der Lage. Die Dämonen trieben ihn vor sich her, die Vergangenheit holte ihn ein.
»Organisieren« ist alles
Es war, wenn ich so zurückdenke, für alle Beteiligten eine enorme Leistung, sich auf das Experiment einer gemeinsamen Band einzulassen. Als Musiker verdient man sein Geld mit Auftritten. Dass wir Auftritte bekommen würden war klar, da Franz und ich schon Erfolge hatten. Wie groß unser gemeinsamer Erfolg werden sollte, konnte man nicht absehen. Vorerst hatten wir noch keine Konzerte und somit keine Gagen, nur Proben. Wir hatten Glück, der Verlauf der Geschichte gab uns im Nachhinein Recht. Franz und Ecke hatten schon eine Familie, Frau und Kinder, die sie ernähren mussten. Ein sicheres Einkommen hatten wir zunächst nicht, dafür einiges an Kosten. Die Miete für den Probenraum, dazu die Investitionen in die Technik, damit wir überhaupt spielfähig waren. Das Geld dafür war eine Sache – an die Technik überhaupt heranzukommen eine völlig andere. Wir konnten nicht eben mal schnell in ein Musikgeschäft gehen und ein Instrument kaufen, geschweige denn eine Beschallungsanlage für die Bühne, im Fachjargon PA genannt. In der DDR konnte man Konzertgitarren erstehen, nicht aber gute E-Gitarren, für kein Geld der Welt. Es soll vorgekommen sein, dass die Oma aus dem kapitalistischen Westen beim Besuch des musikbegeisterten Enkels im Osten heimlich eine E-Gitarre im Gepäck hatte… Mit anderen Worten: Ohne Beziehungen konnte man als Band nicht existieren. Wenn man sich mit anderen Musikern traf, drehte sich der Großteil des Gesprächs darum, wie sich irgendetwas »organisieren« ließ. Der kannte den und wusste wiederum von einem, der gerade etwas übrig hatte. Das ging von Gitarrensaiten bis hin zu großen Instrumenten. Geschäftstüchtige Musiker konnten von Tausch und Handel manchmal besser leben als von ihrer Musik.
Bei uns übernahm László den Part des Organisators; er kümmerte sich um die Technik und die Instrumente, baute ein Netz an Beziehungen auf und aktivierte potenzielle Bezugsquellen. Das lag ihm, außerdem war seine ungarische Staatsbürgerschaft dabei ein enormer Vorteil. Ungarn ließ seine Bürger reisen, László hatte ein europaweit gültiges Visum. Natürlich brauchte er für seine Einkäufe das nötige Kleingeld. Anfangs war das ein großes Problem, unsere wenigen Ersparnisse waren schnell aufgebraucht. Wir hatten manchmal das Gefühl, dass wir ein neues Loch aufrissen, weil wir ein anderes stopfen wollten.
László ließ seine Beziehungen spielen. Er kannte Frenreisz »Karci« Károly, Bassist und Bandleader der ungarischen Gruppe Skorpió. Über ihn hatte er eine Hammondorgel aufgetrieben, die vorerst mit dem Geld aus einem weiteren Strickmaschinenverkauf finanziert werden sollte. Später zahlte Franz das Geld zurück. László machte sich also auf den Weg nach Budapest. Nur: Wie sollte er das Instrument in die DDR transportieren, ohne vom Zoll aufgehalten zu werden? Nach einigen Diskussionen wurde entschieden, die Orgel einfach in der Mitte durchzusägen. Sämtliche elektronischen Verbindungen mussten gekappt werden, was auch bedeutete, dass sie später vor jedem Auftritt wieder mühsam zusammengefügt werden mussten – sonst blieb das Ding stumm. László schaffte es, die Einzelteile im Mitropa-Wagen eines Zuges von Budapest nach Ostberlin zu schmuggeln. Ich gehe davon aus, dass er die Kellner bestochen hat.
Große Freude bei uns und bei Franz! Er bekam eine – ungewöhnliche – Hammondorgel, etwas ganz Besonderes. Ein Instrument, mit dem er endlich wieder loslegen konnte nach der mühsamen Zeit an dem verstimmten Klavier. Ein neues Keyboard kam später dazu.
Ohne László hätten wir damals wirklich blass ausgesehen. Denn er übernahm nicht nur solche
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