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Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Titel: Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Fischer , Manfred Maurenbrecher
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Woche, und zwar in der Werkstatt. Dort wurde eine große Wanne aus Zink in den Raum des Tischlermeisters gestellt, das Wasser wurde auf dem Ofen erhitzt, und dann stiegen wir Kinder nacheinander hinein. Erst Ende der Fünfziger bekamen wir ein richtiges Bad mit Toilette. Bis dahin mussten wir auf ein Plumpsklo gehen, das hinter der Scheune neben den Ställen stand, gut acht Meter vom Hauseingang entfernt. Nachts im Winter auf dieses Klo zu müssen war kein Vergnügen, das verkniff ich mir nach Möglichkeit oder benutzte den Nachttopf.
    Wenn ich morgens in der Woche aufstand, waren aus der Werkstatt schon Geräusche zu hören. Mein Vater und seine Mannen begannen um sieben Uhr. Es roch nach Holz und allem, was zur Tischlerei gehört, es wurde ja auch lackiert. Mir gefiel vor allem der Holzgeruch – warm, unverwechselbar und vertraut. Wenn ich mal unverhofft diesem Geruch begegne – in einem Geschäft mit dazugehörender Werkstatt, zum Beispiel einem Instrumentengeschäft mit Holzinstrumenten wie Gitarren, Geigen und Cellos –, erinnert mich das sofort an zu Hause. Sabine und ich verbrachten den größten Teil des Tages im Freien. Wir stromerten herum, gingen Blumen pflücken oder Beeren suchen. Vorher wurden wir allerdings jedes Mal von den Erwachsenen ermahnt, vorsichtig zu sein. Wegen der Russen, die in der Nähe stationiert waren.

Einschulung 1958

Die Umgebung von Wölfis ist weitläufig durchzogen von Wäldern und Auen, offenbar ein ideales Übungsgelände für Soldaten. Russische Einheiten streiften zu jeder Tages- und Nachtzeit herum. Es konnte einem beim Blaubeerenpflücken passieren, dass man einer Gruppe begegnete, manchmal traf man auch auf einzelne Soldaten. Im Dorf wurde getuschelt, auch von Vergewaltigungen war die Rede. Die russischen Soldaten, vorwiegend sehr jung, hatten kein leichtes Los in der Fremde. Möglichst keinen Kontakt zur Bevölkerung sollten sie haben. Aber ich kann mich noch gut erinnern, dass es abends manchmal vorsichtig ans Fenster klopfte, mein Vater sofort aufstand und hinausging, um sich um den ungewöhnlichen Besuch zu kümmern. Er sprach etwas Russisch. Vorsicht war geboten. Den jungen Soldaten war es streng verboten, ins Haus zu kommen. Wenn sie mal in einem der Wirtshäuser einkehrten und erwischt wurden, wurden sie hart angegangen, gepackt und regelrecht auf die Ladeflächen der bereitstehenden Lkws geworfen. Meinem Vater taten sie leid, sie erinnerten ihn an seine Soldatenzeit im Krieg. Wir Kinder dachten manchmal, dass diese Soldaten eher Gefangene waren, Sieger jedenfalls stellten wir uns anders vor.
    Über den Krieg wurde bei uns zu Hause viel geredet. Vor allem wenn Otto und Liesbeth Brand kamen, meine Pateneltern, er Architekt, sie Leiterin eines Lebensmittelkonsums und beide überzeugte Sozialisten. Und wenn die ehemaligen Kameraden meines Vaters zu Besuch waren, war der Krieg Dauerthema. Ich fand diese Kriegsgeschichten total spannend, und zugleich war ich entsetzt, dass sie wahr sein sollten. Manchmal wurde ich rausgeschickt, weil es zu brisant wurde. Dann setzte ich mich oben in unserem Schlafzimmer an den Ofen und lauschte nach unten. Die Ohren wurden immer größer, aber das nützte leider nicht viel.

    1958 wurde ich eingeschult. Ich hatte ein kariertes Kleidchen an, weiße Kniestrümpfe und eine große Schultüte im Arm. Die Haare trug ich zu einem Pferdeschwanz und weil ich leicht schielte, musste ich seit Kurzem eine Brille tragen. Leider war ich nicht konsequent, weil ich als »Brillenschlange« gehänselt wurde, und setzte sie ab dem Alter von etwa zwölf Jahren nicht mehr auf. Schade, dadurch ist das Schielen ein wenig geblieben und mein linkes Auge etwas schwächer. Aber ein leichter Silberblick hat was, sagte »Mann« mir später.
    In der DDR gehörte es dazu, dass man früh Pionier wurde, oft noch in der ersten Klasse. Die Kinder wollten das auch, ohne ideologischen Hintergrund, einfach dazugehören, stolz auf die Gemeinschaft sein und das blaue Halstuch tragen. Die ersten Zweifel kamen mir dann bei der FDJ. Das Halstuch trug ich nur noch, wenn es verlangt wurde. Da war ich durch meine Familie beeinflusst. Gerade erst war der Zweite Weltkrieg vorbei mit der Hitlerjugend und anderen politischen Bewegungen, jetzt wurden Kinder und Jugendliche schon wieder ideologisch beeinflusst. Die Absicht, eine bessere Gesellschaftsordnung zu schaffen, war lobenswert – nur gibt es aus meiner Sicht und Erfahrung keine Vereinbarkeit zwischen selbstständig denkenden

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