Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
war nicht alles zu haben, was mich interessierte. Manches hörte ich selbst heraus und bastelte mir die Begleitung, selbst gebackene Harmonieabläufe waren das sozusagen, Hilfe von Fachleuten hatte ich nicht. Ich sang »Motherless Child«, »Go Down Moses«, »Morning of My Life« von Esther und Abi Ofarim oder »Komm lieber Franz« (das habe ich Franz Bartzsch nie erzählt). Auch Marlene Dietrich gefiel mir, vor allem »Sag mir, wo die Blumen sind« und »Blowing in the Wind«. Dazu kamen wunderschöne Lieder wie »All mein Gedanken die ich hab«, »Der Mond ist aufgegangen« oder »Die Gedanken sind frei«. Dann auch jiddische Lieder aus dem Buch Es brennt Brüder, es brennt . Mich berührte die jüdische Geschichte, und ich bewunderte die Überlebensstärke und den Humor, der in diesen Liedern zum Ausdruck kam. Etwas später begann ich, selbst kleine Stücke zu komponieren. »Lass den Kopf nicht hängen, ja du wirst seh’n, es wird wieder schön…« zum Beispiel, ein typisch pubertärer Text, erste Gehversuche, und es reimte sich!
Statt im Familientrio spielte ich nun Gitarre in der Akkordeongruppe. Der Leiter, Herr Hacker aus Georgenthal, brachte eines Tages Bernd mit, einen großen, dunkelhaarigen jungen Mann, der gern Volksmusik sang. Mit ihm trat ich eine Zeit lang im Duett auf für die Touristen in Gräfenhain. Aber dann gefiel mir diese Musik nicht mehr, ich wurde erwachsen und hatte andere Vorstellungen.
Mein musikalisches Selbstvertrauen wuchs, ich nahm zunehmend an Wettbewerben teil. In der DDR gab es ja die Order von oben, Talente zu entdecken, deshalb fanden überall Kreis- und Bezirkswettbewerbe statt. Ich heimste meistens den ersten Preis ein, sang »Reis’ ich rundherum auf dieser Erde« oder »Sag mir, wo du stehst«, das bekannte Kampflied von Hartmut König aus der Singebewegung – alles, was mir gefiel und was ich konnte, wobei mein Repertoire noch bescheiden war.
Durch die Auszeichnungen beflügelt, wollte ich Musik studieren. Die Lehrer meiner Oberschule, vor allem Herr Elberskirch, unterstützten mich und verhalfen meinen Eltern zu Kontakten mit Musikhochschulen. Ich bewarb mich mit vierzehn Jahren in Weimar an der Hochschule für Musik, aber das war viel zu früh. Es kam eine klare Absage mit dem Hinweis, dass ich erst noch Klavierspielen lernen sollte.
Ein guter Hinweis. Denn Musik kann man nur studieren, wenn man auch einigermaßen Klavier spielt. Es ist ein Pflichtfach, Vorkenntnisse sind vorteilhaft. Man muss als Sänger zwar kein Pianist werden, aber die Musiktheorie lässt sich leichter am Klavier erklären. Auch ist es von Vorteil, sich Melodien vorgeben oder leichte Begleitungen spielen zu können. Also nahm ich Unterricht bei Hans Umbreit, einem guten Pianisten und Lehrer, der in Wölfis eine Tanzkapelle und dann auch das Blasorchester leitete. Irgendwann später sagte er mir, dass ich zwar sehr musikalisch gewesen sei, er sich aber etwas mehr Fleiß gewünscht hätte. Er hatte sicher recht, heute bedauere ich, nicht mehr geübt zu haben. Doch erstens war es bereits ein bisschen spät, man sollte früher beginnen mit einem Instrument, wenn man es möglichst gut spielen will, und zweitens wurde ich bereits bald von guten Pianisten begleitet. Das Klavier gehört für mich zu den schönsten Instrumenten überhaupt. Und ich bin altmodisch, ich liebe klassische Klaviere, auch wenn es mittlerweile hervorragende elektronische gibt. Unser Klavier, das meine Eltern nun für mich kauften, war so ein altmodisches. Es stand in einer Ecke im Wohnzimmer, in der es nicht genug Licht gab, außerdem war es im Winter dort ziemlich kalt. Wir hatten ja Ofenheizung, und die gute Stube wurde erst gegen Abend beheizt.
Zwei Jahre später, mit sechzehn, bewarb ich mich erneut, diesmal in Dresden an der Hochschule für Musik Carl-Maria-von Weber. Ich wollte den seriösen Weg auf die Bühne einschlagen. Der Vorteil dort war, dass die Schule als Erweiterung des Klassikbereichs auch in »moderner« Musik ausbildete. Die Bedingungen für die Aufnahme waren in erster Linie Grundwissen in Musik, Musiktheorie und Musikgeschichte sowie Grundkenntnisse im Klavierspiel. Dazu sollte ich für mein Fachgebiet ein Volkslied, ein Singebewegungslied und zwei Lieder nach Wunsch vortragen.
An einem Frühlingstag des Jahres 1968 fuhr ich gemeinsam mit meiner Mutter mit dem Zug nach Dresden. Ich hatte gemischte Gefühle, war aufgeregt. Das heißt bei mir, unruhig zu sein und viel auf und ab zu gehen. Es gibt Kollegen,
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