Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
war die TV-Sendung Herzklopfen – kostenlos . Das wollte man gemeinsam mit musikalisch engagierten Dorfbewohnern auf die Bühne bringen. In Wölfis gab es ein Dorfensemble mit einem Chor und einem Blasorchester, das zu einigem Ansehen im Umland gekommen war. Vor allem der stellvertretende Schulleiter, Herr Elberskirch, sowie Schuldirektor Baumgraß und dessen Frau Erika gehörten zu den Menschen, die die Wölfiser kulturell motiviert und auch meine berufliche Entwicklung sehr beeinflusst haben.
Nun stand dieses große Ereignis also vor der Tür, das ganze Dorf war aufgerufen, und wir beschlossen mitzumachen. Anita, Sabine und ich wollten als Trio auftreten – als die »Geschwister Fischer«. Ich war damals neun Jahre alt. Mit unserer Mutter zusammen bastelten wir ein eigenes Lied: »Wenn der Toni zu Berg steigt.« Heute klingt der Text vielleicht naiv, aber das Lied hatte damals, so wie es war, seine Berechtigung.
Trio »Geschwister Fischer« bei ihrem letzten privaten Auftritt zur Hochzeit von Anita Fischer, links Veronika, in der Mitte Anita, rechts Sabine Fischer, 1967
Ganz geheuer war mir der Wettbewerb nicht, denn ich wusste ja noch nicht, wie sich so ein Bühnenauftritt anfühlt. Wir probten, wann immer wir Zeit hatten, bereiteten uns sorgfältig vor. Und wir fragten uns, was ziehen wir an? Passende Kleider mussten her. Also schrieb meine Mutter einen Brief an die Oma im Westen und bat um Stoff. Die liebe Oma aus Tübingen, die nun wirklich nicht reich war, erfüllte uns den Wunsch. Wir bekamen einen hochwertigen Baumwollstoff mit kleinen Röschen darauf und dazu noch moderne Petticoats. Die Freude war riesig, wir sprangen in unserer kleinen Küche auf der Eckbank und den Stühlen mit diesen Petticoats herum. Mutter nähte für uns drei je ein schlichtes, ärmelloses Kleid mit einem runden Ausschnitt, der mit einem kleinen Kragen versehen wurde, ab Taille dann ein weiter, kurzer Rock, darunter der Petticoat. Wir Jüngeren trugen weiße Socken.
Veronika Fischer bei der Hochzeit ihrer Schwester Anita 1967
Dann war der große Tag endlich da. Wir betraten die Bühne und sangen drei Lieder, das eigene »Wenn der Toni zu Berg steigt«, das russische Volkslied »An den Fluss will ich gehen« und noch ein drittes. Ich war so aufgeregt, dass ich dachte, ich würde diesen Auftritt nicht überstehen. Und wie groß war die Aufregung erst, als klar war, dass wir gewonnen hatten!
Dieser Erfolg brachte es mit sich, dass wir in das Dorfensemble aufgenommen wurden und an einigen Auftritten teilnahmen; zum Beispiel sangen wir auf der IGA in Erfurt und alle vierzehn Tage in Gräfenhain für Touristen. Durch die Lehre von Schwester Anita im Bekleidungswerk Gotha wurde das Geschwister Fischer-Trio sogar zeitweise in dessen Betriebsensemble eingegliedert. Wir hatten dadurch einige Auftritte in Magdeburg und im damaligen Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz. Für uns Kleinere sehr aufregend, auch das Wohnen im Hotel und der Fahrstuhl, so was war mir bis dahin noch nicht begegnet. Ich glaube, wir fuhren damit öfter als nötig. Unser Trio löste sich allerdings kurze Zeit später auf, da Anita, die inzwischen volljährig war, in ihrer freien Zeit nun lieber in die Stadthalle Gotha zum Tanzen ging, als mit uns zwei »Kleinen« zu musizieren. Anita war groß, schlank, sie trug einen blonden Lockendutt und hatte diverse Verehrer. Ich war stolz auf meine hübsche Schwester.
Damals sollte ich Oboe lernen, um eines Tages im Blasorchester spielen zu können. Leider brachte mir das Üben Kopfschmerzen, mein Training war nur von kurzer Dauer, der Arzt verbot es schließlich. Worüber meine Schwestern sicher erleichtert waren, denn ich übte oft Sonntagfrüh gegen sieben Uhr – es ist kein Vergnügen, einen Anfänger beim Üben auf dem Blasinstrument – wie soll ich es bezeichnen – fiepsen und quietschen zu hören. Jedenfalls sucht man noch die Töne, im Gegensatz zum Klavier, da sind sie schon da, und man muss sie »nur noch« spielen können.
Mit zwölf Jahren begann ich dann Gitarre zu lernen. Jeden Sonntag radelte ich bei Wind und Wetter mit dem Instrument auf dem Rücken die zehn Kilometer nach Gräfenhain zu meinem Gitarrenlehrer Herrn Riehl. Ich lernte gern, das Spielen fiel mir relativ leicht, und es dauerte nicht lange, bis ich mich selbst auf der Gitarre begleiten konnte. Alle Lieder, die mir gefielen, versuchte ich nachzuspielen. Ich beschäftigte mich mit Gospels, Chansons, jiddischen Liedern, besorgte mir Noten, aber es
Weitere Kostenlose Bücher