Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
Kriegsverbrecher, die Konzerne hatten die Schuld. In der DDR dagegen wurde geteilt, die Großgrundbesitzer mussten zum Wohle des Volkes alles abgeben. Eine bessere Welt?
Auf den Fahrten in unserem Opel sangen wir gemeinsam Volkslieder oder erfanden selber welche. Wir Kinder saßen hinten. Im Winter stand da ein Katalyt-Ofen, der wenigstens die Füße wärmte. Er stank unangenehm nach dieser Flüssigkeit, das beeinträchtigte aber unsere Freude am Reisen nicht. Mein Vater saß am Steuer, meine Mutter konnte nicht Auto fahren. Er bedauerte später, dass Frauen überhaupt Auto fahren durften, weil sie dadurch freier würden. Emanzipation war für ihn gleichbedeutend mit dem Verfall der Familie. Der Zusammenhang ist da, mein Vater hatte nicht unrecht. Die Frage ist nur, was ist besser? Meine Mutter hätte sich gern emanzipiert. Und ich liebe es, Auto zu fahren!
In den Fünfzigern und frühen Sechzigern war die Emanzipation noch in weiter Ferne. Es ging nicht um Selbstverwirklichung, sondern darum, anzupacken. Für uns Kinder galt das genauso wie für die Großmutter, die mit uns im Haus lebte. Meine Oma war von kleiner Gestalt, vielleicht 1,60 Meter und trug ihr dunkles Haar zum Knoten gebunden. Es war sehr lang, wurde einmal in der Woche gewaschen und sofort wieder gebunden. Zum Friseur ging sie nie. Sie trug immer Schürzen und praktische Kleidung, selbst gestrickte Strümpfe und bequeme Schuhe. Aber sonntags dann ein frisches Kleid, und die Haare wurden besonders gut gekämmt.
Meine Großmutter verrichtete als Kleinbäuerin den größten Teil unserer Landwirtschaft. Nur bei der Getreide- und Kartoffel ernte musste die ganze Familie mit anpacken. Das Getreide wurde von meinem Vater und einigen Angestellten in einer Reihe mit der Sense geschnitten. Wir mussten es zu »Puppen« zusammenstellen, das waren drei dickere Bündel, die aneinandergelehnt und in der Mitte mit Halmen zusammengebunden wurden. So fielen sie nicht um und konnten trocknen. Ein langer, anstrengender Tag für uns. Später wurden die Getreidepuppen mit der Kuh und dem Wagen abgeholt. Zu Hause hob mein Vater das Getreide auf dem Wagen stehend mit der Gabel hoch auf den Scheunenboden, wo meine Oma es entgegennahm und stapelte, während meine Mutter sich um das Essen für die große Familie kümmerte. Ob sie das Korn später an die Mühle verkaufte, weiß ich nicht mehr, das Stroh jedenfalls wurde als Streu für das Vieh verwendet.
Eigene Kartoffeln hatten wir immer. Am meisten gefiel mir die Nachlese der Kartoffelernte, die fand immer an einem herbstlichen Spätnachmittag statt, wenn das Wetter schon rauer war. Dazu nahm meine Oma Brote mit selbst gemachtem Schweineschmalz und Äpfel als Zwischenmahlzeit mit. Wenn wir den Rest der Kartoffeln von unserem großen Feld abgelesen hatten, machte Oma bereits mit trockenem Kartoffelkraut ein kleines Feuerchen am Rand des Feldes und warf einen Teil der Restkartoffeln zum Rösten hinein. Wir durften sie, wenn sie weich waren, mit einem Stöckchen herausfischen, abschälen und essen. Das hatte so einen speziellen Geruch, etwas geräuchert, etwas verbrannt.
Zwei Ställe mit Tieren hatten wir auch – in Kriegszeiten und danach ein Überlebensvorteil. Eine Zeit lang hielten wir Ziegen, Gänse, Kühe und ein Schwein. Das Schwein hatte keinen Namen, aber die Kühe bekamen immer einen. Das Schwein wurde geschlachtet, deshalb nicht so viel Nähe bitte. Eine Kuh hieß Fritze und eine Liese.
Die meisten Kleinbauern hielten Kühe als Pferdeersatz, sie zogen die Wagen für alle nötigen Arbeiten, auch die Geräte beim Ackern. Und sie gaben obendrein Milch. Außerdem hatten wir auf dem Hof noch zwei Hunde, einen Spitz und einen Schäferhund. An den Spitz erinnere ich mich gut, der hieß Ingo und wurde von uns immer in den Puppenwagen gesteckt. Er war ein richtiger Kläffer, der sofort anschlug, wenn sich jemand näherte, den er nicht kannte. Mein Vater fand das ganz gut so, wir wohnten ja inmitten der Übungsplätze der Russen, die in der Wölfiser Umgebung stationiert waren.
Um das Füttern, Ausmisten und Melken kümmerte sich meine Oma. Früher hat wohl auch meine Mutter gemolken, wir nicht. Ich habe relativ wenig von der Landarbeit gelernt. Ich musste nur hin und wieder eine Kuh zum Grasen führen und aufpassen, dass sie nicht abhaute. Ansonsten war ich von der Stallarbeit befreit, was ich nicht weiter schlimm fand, da ich den strengen Geruch dort nicht mochte. Dann schon lieber raus zur Heuernte! Wenn es mehrfach
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