Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
leicht eine warme Atmosphäre zwischen Künstlern und Publikum. Auf den weitläufigen Bühnen hat man das Bedürfnis, besonders große Bewegungen zu machen, und im Wunsch, wenigstens ein bisschen Intimität im Vortrag herzustellen, verbraucht man sich körperlich schneller als überall sonst. Vielleicht liegt es auch an den schlechten Klimaanlagen der Bauten. Oft sind die Garderoben fensterlos – ich hasse es, ohne Sauerstoff auskommen zu müssen.
Solche Bühnen brauchen Lichtshows und Brimborium, da reicht die Musik allein nicht mehr aus. Man fühlt sich schnell verlassen. Aber das Fernsehen – bei jedem Festival dabei – sorgt für Beleuchtung, ein großes Orchester und Chor stehen bereit – das macht alles natürlich noch pompöser.
Zu einem Auftritt bei einem großen Festival reist man in der Regel einige Tage früher an und ist dann unentwegt mit der Vorbereitung für den einen kurzen Auftritt beschäftigt. Das ist zeitaufwendig und schlaucht, denn es gibt viel Leerlauf. Alles beginnt mit der Fahrt zum Hotel. Man packt rasch das Nötigste aus und begibt sich dann zum Auftrittsort. Dort hängt der Probenplan aus, in dem die exakte Abfolge der Orchesterproben verzeichnet ist, oder man wird vom Aufnahmeleiter eingewiesen. Also wartet man geduldig, bis man an die Reihe kommt, hält hier und da ein Schwätzchen und sieht zu, wie die Leute vom Fernsehen, die seit Tagen vor Ort sind, die letzten technischen Aufbauten erledigen.
Wir betraten mit dem Auftritt in Dresden Neuland. Es war das erste Mal, dass wir auf einen Dirigenten achten mussten. Rockbands orientieren sich am Schlagzeug, aber wenn so viele Klangkörper im Spiel sind wie bei Festivalproduktionen mit Orchester, ist ein Dirigent dringend nötig. Er hält alles zusammen, alle Musiker und Sänger müssen auf den Mann am Pult achten, damit sie ihre Einsätze nicht verpassen. Eine Art des Spiels, die für uns damals völlig neu war.
Meine Kollegen bauten ihre Instrumente also nah am Orchester auf, aber weit genug weg, um als eigenständige Band erkannt zu werden. Ich als Solistin musste wieder warten, bis das Stück instrumental durchgeprobt war. Wochen vorher schon hatten der Dirigent und die Musiker des Orchesters die Noten der einzelnen Songs bekommen und intern geprobt. Nun ging es um das perfekte Zusammenspiel mit einer Band. Ich verfolgte die Abläufe der Instrumentalproben, prägte mir Klänge und Übergänge ein, denn auch ich hörte jetzt zum ersten Mal das Orchesterarrangement jenes Liedes, das ich vortragen würde: »… dass ich eine Schneeflocke wär«. Keiner wusste damals, dass dies einmal der Hit meines Lebens sein würde. Ein Musikerkollege sagte im Jahr 2009 beim Ostrock-Klassik-Konzert vor siebzehntausend Menschen in der Wuhlheide zu mir: »Das ist dein ›Satisfaction‹!« Ein guter Vergleich. Zum Glück kamen noch ein paar weitere Hits dazu, aber die »Schneeflocke«, lieber Franz, ist wirklich dein Glanzstück für mich, danke! Das nur nebenbei.
Die Probe verlief ohne nennenswerte Probleme. Einzelne Instrumentalparts wurden wiederholt und verbessert, dann konnte ich einsteigen. Zwei, drei Anläufe, dann klappte alles. Ich war diesmal mit meiner Stimme zufrieden, was nicht immer der Fall war. Für meine Psyche ist das auch heute noch sehr wichtig; wenn ich bei der Probe nicht zufrieden bin, kann ich dem Tag des Auftritts nicht getrost entgegensehen, bin noch aufgeregter, finde keine Ruhe. Auch das ist mir schon passiert. In Dresden war der Druck relativ groß, denn ich sang nur dieses eine Lied, bei anderen Festivals waren es oft drei Stücke oder mehr aus meinem Repertoire, dazu noch ein bearbeitetes Lied des gastgebenden Landes. Hier musste also alles sitzen.
Nach der Orchesterprobe hieß es: wieder abhängen, Garderobenanprobe, Warten, Kameraproben fürs Fernsehen, dazwischen schnell eine Bockwurst in der Kantine, dann klopfte auch schon die Presse an mit der Bitte um ein Interview mit Foto. Schnell ein wenig Lippenstift aufgetragen für den Fall, dass die Bockwurst ihn verwischt hat. Wenn ich mir die Fotos heute anschaue, sehen wir ziemlich brav aus in unserer Bühnenkleidung. Die Jungs in Samtanzügen in verschiedenen Farben, ich in einem weißen Lochstickereikleid und mit Lockenwuschelkopf. »Schneeflockig« unterstrich mein Kleid das Lied – gut überlegt. Für solche Raffinessen zeichnete inzwischen die Generaldirektion für Unterhaltungskunst verantwortlich. Wir galten als unterstützungswürdig, weil für die Jugend
Weitere Kostenlose Bücher