Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
mir.
Nur über die abweisende Reaktion meiner besten Freundinnen war ich erstaunt: »Wenn du erst mal dort bist, sprichst du nicht mehr wie wir, bist du keine mehr von uns« – das war eine klare neidische Ansage.
Bevor es richtig losging, musste ich noch einmal nach Dresden zu einer physiologischen Untersuchung. Dazu gehörte die Prüfung von Stimmbändern und Lungenkapazität. Es wurde festgestellt, dass der Stimmapparat und die dazugehörenden Bedingungen für einen Beruf als Sängerin organisch gegeben waren. Alles in Ordnung.
Meine Eltern sahen meinen baldigen Weggang mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Meine Schwester Sabine machte damals gerade in Gotha Abitur und war auf die finanzielle Unterstützung meiner Eltern angewiesen. Sie hatten ihr kleines Unternehmen nicht mehr aufrechterhalten können und gerade aufgegeben. Die Steuern waren zu hoch. Die DDR hatte kein Interesse an kleineren Privatbetrieben. Viele konnten sich damals nicht halten, bauten ab oder mussten umstrukturieren. So wurde die Mittelschicht des Landes zerstört. Merkwürdigerweise findet das heute im Hier und Jetzt wieder statt, in der freien Marktwirtschaft.
Seit der Aufgabe des eigenen Betriebes arbeiteten meine Eltern als Angestellte in der PGH Wölfis, einem teilverstaatlichten Unternehmen aus zusammengeschlossenen Handwerkern. Das Geld war knapp, insofern war es ganz gut, dass ich mit siebzehn mit der Aussicht auf ein Stipendium davonflog.
Um die Zeit bis dahin zu überbrücken – und um mein Taschengeld aufzubessern –, arbeitete ich gemeinsam mit zwei Schulfreundinnen sechs Wochen lang als Hilfskraft in der Großküche eines Ferienheims für Kinder in Oberhof. Der Ort im Thüringer Wald ist bekannt für seine Wintersportmöglichkeiten, nun hatte ich Gelegenheit, Oberhof auch im Sommer zu erleben. Wenn die anderen im Tal schwitzten, war es dort angenehm warm. Wir bezogen ein Zimmer im Kinderheim, drei Betten, spartanisch einfach, das genügte. Das Haus stand im Grünen mit wunderbarem Ausblick, allerdings nicht aus unserem Zimmer, wir waren auf der dunkleren Seite. Wir hatten auch nicht viel vom Ausblick, weil wir kaum frei hatten. Am ersten Tag wurden wir eingewiesen in unsere Aufgaben, lernten die Großküche kennen mit ihren riesigen Kesseln. Nach Anweisung mussten wir rühren, schnippeln, hinzufügen, abwaschen und was sonst anstand. Die Küche wischen, die verkrusteten Speisereste beseitigen, Geschirr- und Topfreinigung kamen dazu. Ordentlicher Körpereinsatz war gefragt, ziemlich ungewohnt für uns Schüler. Mit Kochkunst hatte das nichts zu tun. Das Essen an die Kinder auszugeben war dabei noch die schönste Aufgabe.
Der Tag begann um sechs Uhr. Es gab einen Koch und eine Fachfrau, die ihm zuarbeitete, und uns Hilfskräfte. Etwa achtzig Kinder mussten bekocht werden, das Essen war einfach und erfüllte vor allem den Zweck, die Menge satt zu machen. Besonders schmecken tat es nicht.
Etwas gefiel mir gar nicht: Der Koch hatte eine unangenehm billige Art, uns Mädels anzumachen. Er machte ständig »Witze«. Wir waren ihm zwar im Einflussbereich seiner Küche ausgesetzt, aber geschickt genug, ihm trotzdem immer auszuweichen. Wir übten uns im Umgang mit dem anderen Geschlecht nach Feierabend, es waren nette Jungs in unserem Alter da, die gefielen uns besser.
Veronika Fischer & Band beim Internationalen Schlagerfestival 1975 in Dresden.
Von links: Franz Bartzsch, Eberhard Struck, Veronika Fischer, Eckard Kremer, Frank Hille
Ich überstand die Zeit, hatte etwas Geld in der Tasche und die Gewissheit, dass so etwas auf keinen Fall mein Leben bestimmen sollte.
Richtig kochen lernte ich später.
»…dass ich eine Schneeflocke wär«, sommers wie winters, und meine »Liebe« zu Festivals
Sechs Jahre später, ich lebte bereits in Berlin, vertrat ich die DDR in der Stadt meiner Studienzeit zum ersten Mal bei einem internationalen Songfestival. Solche Veranstaltungen fanden in großen Kulturhäusern statt, in Sälen von der Art des Palasts der Republik, Kulturstätten, wie sie überall in der Nachkriegszeit entstanden sind, unpersönlich und mit einer unverwechselbar steifen Atmosphäre. Im Herbst 1975 sollte ich mit Band und großem Orchester beim Internationalen Schlagerfestival im Dresdner Kulturpalast auftreten. Der Saal fasst gut zweitausenfünfhundert Zuschauer. Im Gegensatz zu manch alten, schönen und oft ähnlich großen Theatern, in denen ich mich wohlgefühlt habe, entsteht in solchen Häusern nicht so
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