Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
Kindes denn nicht viel mehr im Leben als die? Irgendwie glaubt sie nicht richtig daran. Nur ein Beruf, den die anderen anerkennen, zählt doch. Das war drüben so, und ist hier nicht anders. Nur ein schwerer Beruf ist ein schöner Beruf, denkt sie.
Ihr Blick fällt auf die kleine Strickmaschine, die sie sich neulich gekauft hat. Um Rem Embolya ein wenig zu unterstützen, hat sie sich selbst eingeredet. László hat staunend und ein bisschen spöttisch zu ihr hingeschaut, als er sie davorsitzen und stricken sah.
Sie selbst hat sich an die Winterabende erinnert, damals als Kind zu Haus, als alle Frauen in einer Stube beisammenblieben und strickten, sie als Zehnjährige mit dabei. Es war mollig warm, hurtig flogen die Finger, fröhlich hüpften die Wechselreden. Damals hätten alle über die Frage gelacht, ob das nun ein richtiger Beruf oder Zeitvertreib oder Notbehelf war. Kleidung wurde gebraucht, Geld war knapp, Zeit vorhanden. Außerdem war es angenehm, so beisammenzusitzen.
Geld ist hier in den Schwierigkeiten der Ankunftszeit auch recht knapp, 25 000 DM bringt ihr der Vertrag mit der WEA im Jahr, das ist wenig für eine Familie – und Westmark geht übrigens genauso schnell weg wie drüben die Ostmark.
Sie hat einen dunkelblauen Pullover angefangen für Benjamin, vorndrauf ein weißer Schneemann. Mit der Maschine umzugehen fällt ihr leicht. Wenn dieses Prunkstück gelingt…
Plötzlich weiß sie, was sie seit dem Anruf vorhin so nervös macht. Vor ihrem inneren Auge sieht sie eine alerte, attraktive Geschäftsfrau mit László zu Abend essen, irgendwo in Charlottenburg eine, die mitten im Leben steht. Ein Sektglas schwenkend prosten sie sich zu.
Langstielig. Kussmundig.
Sie spürt, dass sie dabei ist, sich von ihrem Platz abdrängen zu lassen.
»Mama, pass doch auf«, schreit Benjamin. Sie ist hochgesprungen, die Welle im Teppich biegt den jetzt schon hüfthohen Turm. »Ich halt ihn«, ruft sie und breitet die Hände aus für die runterpolternden Steinchen.
Krise und Veränderung
Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass Krisen in einer Gruppe zunehmen, wenn es entweder rasant nach unten geht – oder wenn ein stabiles Erfolgsplateau erreicht ist. Wir waren Anfang 1977 auf einer solchen »Hochebene« angelangt, die Anstrengung hätte nachlassen können, aber prompt brodelte es in der Band. Im Grunde ging es um die Frage, die sich zum ersten Mal nach unserem Auftritt in Sopot gestellt hatte. Bestand Veronika Fischer & Band aus einer Sängerin, die ein paar Musiker um sich geschart hatte? Oder waren wir eine Band, bei der eben eine singt, und die anderen ihr Instrument spielen? Ein schwelender Krisenherd, der jedes Mal, wenn ein Journalist sich mit seinen Fragen nur an mich wandte, Feuer fing. Nur Franz Bartzsch als gefeierter Solist hatte kein Egoproblem damit. Für Hansi war das schwieriger, und die Presse streute Salz in die Wunde, indem sie immer wieder fragte, wer denn nun »der Chef« der Band sei.
Anstatt die Sache offen zu besprechen, gerieten wir wegen banaler Dinge aneinander. Und wie es manchmal so geht, wenn die eigentliche Ursache gedeckelt wird, sucht sich der Ärger ein anderes Ventil. Bei uns war dieses Ventil László. Als Manager bekam er von allen Seiten den Ärger ab. Natürlich war László damals ein Anfänger in diesem Metier, aber wir lernten schließlich alle noch. Und natürlich wäre ein perfektes Management toll gewesen; nur war so etwas in der DDR gar nicht erwünscht. Der perfekte Manager in der DDR hätte immer auch ein geschulter Ideologe sein müssen – und sich damit selbst im Weg gestanden. In einem Land, das praktische Lösungen systemgemäß eher behinderte. Und ganz nebenbei: Der perfekte Manager ist mir bis heute nicht begegnet. Davon gibt’s wenige auf der Welt, und die sind nicht gerade billig. Aber natürlich sind mir bis heute auch einige wenige gute Partner begegnet, die mir sehr fleißig zuarbeiten.
László war nicht nur jeden Cent wert, ohne ihn und seine Kontakte hätte uns jeder Handgriff ein Vielfaches gekostet. Wir teilten ja sowieso unsere gemeinsamen Einnahmen in dieser Zeit. Im Konzert- und Festivalbetrieb vergisst man das gerne, ein gesundes Verhältnis zur wirtschaftlichen Realität entwickelt sich am wenigsten dann, wenn man von Erfolg zu Erfolg eilt.
Keiner von uns hatte schließlich Erfahrung darin, ein Unternehmen zu führen. Mit Ausnahme Hansi Biebls vielleicht, wobei dessen Blueser-Projekt nicht wirklich zum Vergleich taugt.
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