Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
spielfähig.
László und ich verständigten uns darüber, dass es vermehrt Auslandstourneen geben sollte, damit wir in der neuen Besetzung Erfahrungen sammeln konnten. Die neue Truppe sollte nicht unter dem Niveau der alten Band agieren – und das Einspielen konnte man am unauffälligsten im Ausland über die Bühne bringen. Unseren Fans in der Heimat wollten wir uns nicht »unerprobt« präsentieren. Außerdem würden die Auftritte im Ausland unserem Genex-Konto guttun, auf dem man Valuta ansparen konnte, um sich Anschaffungen leisten zu können, die für das Reisen notwendig waren. Ein ordentliches Auto, zum Beispiel einen Volvo, bekam man nur mit Valuta.
Valuta war die Bezeichnung für ein Leistungsentgelt in ausländischer Währung, beispielsweise Rubel, Lei, aber auch DM oder Dollar. Man kam an das gezahlte Geld nicht heran, als Valuta lagerte es auf einem staatlichen Konto, von dem aus man Sachwerte bezahlen oder sich Barschecks für den Intershop aushändigen lassen konnte.
Irgendwann später kauften wir auf diese Art tatsächlich unseren Volvo.
Veronika Fischer und László Kleber bei einem Ausflug ins Witoscha-Gebirge bei Sofia, Bulgarien, 1977
László wohnte damals schon fast in der Künstleragentur und stellte jetzt eine Tournee nach der anderen zusammen. Wenn wir zwei parallel hätten bewältigen können, dann hätten wir es gemusst. Zum Glück ging das damals so wenig wie heute, denn das Beamen ist noch nicht erfunden.
Also auf in die Länder des Ostens – die neuen dynamischen und spielfreudigen Musiker waren voll Vorfreude auf die Tourneen, und wir reisten, was das Zeug hielt.
Zunächst ging es nach Bulgarien, der Auftritt war schon auf dem Goldenen Orpheus-Festival in die Wege geleitet worden. Wir gaben zehn Konzerte, von den Medien freundlich vorbereitet, für mich eine der angenehmsten beruflichen Reisen, die ich je gemacht habe. Von Sofia aus – wir stiegen im Hotel Moskwa ab – ging es zu den verschiedenen Spielstätten, die wir nach abenteuerlichen Fahrten durchs Balkan- oder das Witoscha-Gebirge erreichten. Von Sofia, das auf einer Hochebene liegt, gehen fünf Bergpässe ab, die Stadt ist ein Verkehrsknotenpunkt und liegt vor einer herrlichen Kulisse. Die schneebedeckten Gipfel sieht man in Sofia zu jeder Jahreszeit.
Unser Bus wurde diesmal von einem Fahrer der bulgarischen Künstleragentur gesteuert, der mit ordentlichem Temperament die Serpentinen auf den Gebirgsstraßen hochbretterte. Wir wurden nachmittags abgeholt, führten unser Konzert aus, danach ging’s im Schleudertempo wieder zurück in die Hauptstadt. Manchmal betete ich zu einer höheren Macht, denn ich glaubte mein letztes Stündlein nah. Der Bus kippte schon mal mit der einen Seite schräg nach unten während der Fahrt, und die seitlichen Begrenzungen auf den Bergstraßen waren nachts nicht sonderlich gut erkennbar. Gewisse Magenbeschwerden stellten sich ein, doch der Busfahrer hielt sein Fahrzeug durch das Tempo auf der Straße.
Es hatte was von Wildwasserfahrten. Auch meine Kollegen versuchten sich möglichst unauffällig den Angstschweiß von der Stirn zu wischen. Wir freuten uns jedes Mal, wenn wir eine solche Heimfahrt von einem Konzert überstanden hatten.
Die Auftritte machten Spaß! Das Publikum war begeistert. In einem Ort in einer ansonsten wenig bevölkerten Gegend wurden zwei ausverkaufte Vorstellungen zusammengelegt. Es wurde nur ein Konzert veranstaltet, aber eben mit doppelt so viel Besuchern, wie offiziell in den Saal passten. So etwas wäre in Deutschland undenkbar. Die Feuerwehr hatte offenbar keine Einwände oder war nicht gefragt worden. Guter Wille und der Glaube an das Gute überwogen. Das Konzerthaus war zum Bersten voll. Ich habe nie vergessen, wie die Menschen fast auf der Bühne lagen, vor meinen Füßen. Ein junger Mann, vielleicht achtzehn, strahlte mich die ganze Zeit an und hatte kaum Zähne im Mund. Bei einer Schlägerei verloren? Alle waren glücklich, dabei zu sein. Eine Bombenstimmung. Die Menschen freuten sich über uns. Das ist herzerwärmend.
Froh, wie wir waren, machten wir einigen Blödsinn auf dieser Reise.
Meine Kollegen hatten die Angewohnheit, unterwegs möglichst sparsam zu leben, damit das eigene Genex-Konto schnell wuchs. Meine Bandmitglieder brachten kleine Kochplatten, Töpfe, Spülmittel, Fertigsuppen und vieles mehr auf solche Touren mit, um ihr Geld nicht in Restaurants zu verschwenden. Eines Abends hockten wir in einem unserer Zimmer noch zusammen, tranken ein
Weitere Kostenlose Bücher