Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
wieder absteigen, um das Lied jetzt im Stehen zu singen, während meine Kollegen im Kreis um mich herumtrabten. An was dachte der Regisseur, an etwas Romantisches, Tiefsinniges?
Ich stand also umringt von langsam trabenden Pferden mit meinen Kollegen im Sattel im Sand des Ostseestrands und sang in die Kamera des polnischen Fernsehens, als uns ein dumpfer Schlag aus der Konzentration riss. Franz war im hohen Bogen vom Pferd geflogen. Wie peinlich war es ihm. Natürlich lachte keiner, es hätte uns allen passieren können. Er war total entsetzt und konnte sich kaum beruhigen. Wir versuchten es, aber er fühlte sich schlecht, irgendwie vorgeführt, er als Bandchef…
Nach dem Dreh ging es zurück ins Hotel, wir mussten für die Heimreise packen. Wir besaßen inzwischen Pkws und einen Lkw für die Technik, das Reisen war angenehmer, die Barkas hatten ausgedient. Schnell waren wir wieder zu Hause.
Es sollte nicht unsere letzte Begegnung mit Polen sein, wir unternahmen später noch mehrere kleine Tourneen dorthin, die uns immer ein aufgeschlossenes Publikum bescherten. Ich spielte gern in diesem künstlerisch feinsinnigen Land. Außerdem bekam ich nach dem Sopoter Festival das Angebot, in dem Kinofilm Echter Charme an der Seite des tschechischen Schauspielers Josef Laufer eine Hauptrolle zu spielen. Mein Leinwanddebüt – und eine neue Aufgabe mehr.
Wie hat man sich eigentlich früher verständigt, wenn man verabredet war und etwas dazwischenkam?, denkt sie. Man hat doch immer jemanden gefunden, der eine Nachricht weitertragen konnte, persönlich, weil es kein Telefon gab. Man hat sich gefreut, wenn diese Art der stillen Post klappte und man sich zum verabredeten Zeitpunkt traf. Die Unsicherheit mischte sich mit Aufregung und Vorfreude.
Eben erst hat ihr Mann angerufen, es war ein kurzes Telefonat. Er würde zum Abendessen nicht da sein. Und sie hat nur »Ist gut« gesagt, aufgelegt, sich in den Sessel gesetzt und sich wieder ihrer Zeitschrift gewidmet. Benjamin hat kurz aufgeschaut, er ist es gewohnt, dass sein Vater oft erst heimkommt, wenn er schon schläft. Jetzt baut er weiter ein stabiles Fundament aus Legosteinen und Holzröhrchen, für einen Turm wahrscheinlich – Türme machen, so hoch es geht, ist ein Lieblingsspiel.
Sie blättert ungeduldig in der Zeitschrift, schlägt eigentlich nur die Seiten um, liest nichts. Ein Essen mit Geschäftsfreunden, irgendwo in Charlottenburg. Diese neuen Freunde ihres Mannes kennt sie kaum. Und hat es genauso gewollt, einerseits. Als sie endgültig im Westen angekommen sind, hat sie ihn gebeten, sich auf den Sport zu konzentrieren, aufs Fußballmanagement, oder sich einen Trainerjob zu suchen, bloß bitte nicht gleich wieder in ihre Karriere mit eingreifen, nicht gleich wieder für sie mitplanen. Es gibt keinen Grund dafür, auch hier im Westen beruflich wieder ein Team sein zu wollen. Durch das Kind und die neuen Umstände stehen sie beide als Ehepartner sich jetzt sowieso fast zu nah. Einerseits. Ihr öffentliches Leben als Sängerin ist momentan beinahe zum Stillstand gekommen, obwohl alle ständig beteuern, die Pause sei nur eine kleine Umorientierungsphase. Gleich ginge es wieder los…
Nicht dass ihr deshalb langweilig wäre – sie kann die viele freie Zeit auch genießen. Meistens jedenfalls.
»Mama, guck«, ruft Benjamin, sein Turm ist angewachsen, er wirkt noch ganz solide, nur auf der bisher höchsten Sprosse schaukelt ein Holzröhrchen, es wippt fröhlich auf und ab. »Wenn du höher willst, musst du’s feststecken«, lacht sie, und Benjamin pustet vorsichtig auf das schaukelnde Holz.
Sie legt die Zeitschrift weg und streckt sich. Eigentlich führt sie zum ersten Mal seit den Studententagen hier so etwas wie ein Privatleben. Das wird ihr manchmal ganz plötzlich bewusst. Es gibt Tage ohne jeden Eintrag in ihrem Kalender. Manchmal erschrickt sie, wenn sie sich ausmalt, so könnte es weitergehen. Aber oft genug kann sie sich daran auch richtig freuen. Die Frauen in ihrer Umgebung, die sie Freundinnen noch nicht nennen will, kennen es gar nicht anders. »Sorge dich nicht, lebe« ist der amerikanische Besteller, den sie alle gelesen und ihr wärmstens empfohlen haben.
Sie hat den Ratgeberschinken so unkonzentriert durchgeblättert wie die Zeitschrift eben.
Doch, sie sehnt sich nach ihren alten Vertrauten zurück. Nach Freundinnen, die klare Ziele, Interessen und schwere Berufe haben. Entscheidungen fällen, im Leben stehen.
Steht sie als Mutter eines kleinen
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