Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
Meer auftreten sollten. Wir wohnten in einem klassischen Touristenhotel mit Meerblick, im Schlepptau hatten wir hohe Beauftragte der DDR. So war man nie allein, wie schön.
Veronika Fischer und ihr Reisetross (unter anderem mitreisende Kulturbeauftrage der DDR), Bulgarien, Festival Goldener Orpheus 1976
Für diese »Beauftragten« boten solche Dienstreisen die Möglichkeit, die Pflicht mit dem Angenehmen zu verbinden. Für uns war das Ganze keineswegs ein Urlaub, denn so ein Festival ist immer aufregend und psychisch anstrengend. Bei dieser Reise hatten wir aber tatsächlich etwas mehr freie Zeit als üblich. Wir erlebten bulgarische Volksfeste mit Dudelsackspielern und Tänzern in Landestrachten. Schön und bunt. Die Dudelsackspieler fand ich faszinierend. Einer von ihnen wirkte völlig gelangweilt, als hätte er mit den Melodien, die er da spielte, gar nichts zu tun. Erstaunlich, wie er die Lücken fand, um sein Instrument wieder aufzublasen – diese Technik war mir bis dahin unbekannt. Interessant auch, dass Taktauffassung und Rhythmik in Bulgarien eine eigene Zählweise haben: Nicht in Taktwiederholungen wird gezählt, sondern in Themenwiederholungen, die völlig außerhalb jeder üblichen Zählzeit liegen. Das zu beobachten und allmählich zu verstehen fand ich spannend. Ich dachte: Hauptsache, sie wissen, wo die Eins ist. Sie wussten es.
Probe mit Orchester beim Festival Goldener Orpheus in Bulgarien 1976
Auch das Schwarze Meer war einfach herrlich. Nach unserem Auftritt verbrachten wir noch einige entspannte Tage dort, und ich legte mir angenehmerweise noch eine gesunde Hautfarbe zu. Das Ausspannen war umso schöner, weil ich mit meinen wunderbaren Kollegen den zweiten Preis bekommen hatte, wieder für die »Schneeflocke«. Gewonnen hatte die Kubanerin Farah Maria. Unser zweiter Platz war kein Schaden, im Gegenteil. Die Aufmerksamkeit war riesig, an das Festival schloss sich gleich noch eine Fernsehaufzeichnung an. Unsere Musik hinterließ einen bleibenden Eindruck in Bulgarien, sodass es später noch zu zwei schönen Tourneen kam. Nicht überall hatten wir so erfreuliche Erlebnisse. Noch heute erzählen mir Bulgaren, die uns damals hörten, dass sie sich nach unserem Auftritt ernsthaft mit der deutschen Sprache beschäftigt hätten – was ich da sang, hätte sie sehr interessiert. Ein großes Kompliment. Ich hoffe, dass es ihnen nützte!
Auch in Polen wurde ich sehr freundlich aufgenommen. Sopot, als deutsches Ostseebad lange Zeit Zoppot geschrieben, ist eine alte Kurstadt in der Danziger Bucht, die einmal im Jahr das internationale Festival veranstaltet, zu dem wir geladen waren. 1976 fand es in der Waldoper statt. Eine riesige, mich damals schwer beeindruckende, halb überdachte Arena erwartete uns.
Ich hatte drei Lieder zu singen. Eins davon war unsere Fassung eines polnischen Stückes, wir nannten es »Ich rufe Dich«, textlich bearbeitet von Kurt Demmler.
Den internationalen Preis gewann eine Russin. Ich gewann den polnischen Preis am sogenannten nationalen Tag. Und natürlich beziehe ich bei solchen Auftritten immer auch die Leistung meiner Musiker mit ein – aber zunehmend mussten sie es lernen, dass hier die Sängerin als Solistin verstanden wurde, dass gerade bei solch kommerziell attraktiven und kulturpolitisch genau beobachteten Veranstaltungen meine Arbeit im Mittelpunkt stand. Das brachte Spannungen. Eigentlich wollte keiner in der Band nur ein Teil der Begleitung sein.
Ich verstand »Ich rufe Dich« als Gospel. Deshalb trug ich ein schlichtes schwarzes Kleid und sang es sehr emotional, sehr dynamisch.
Es verfehlte seine Wirkung nicht. Und die »Bernsteinnachtigall«, der Herzenspreis der Polen, eigentlich für Sänger ihrer eigenen Kultur gedacht, war der Lohn dafür.
Am nächsten Tag bekamen wir das Angebot, für einen Fernsehbeitrag ein paar Tage länger in der Danziger Bucht zu bleiben. Wir sagten zu. Der Regisseur hatte die »schöne« Idee, uns alle am Strand entlangreiten zu lassen. Ich weiß bis heute nicht, was das sollte, im Text kam nichts vor mit Pferden und Stränden… Ich setzte mich also brav auf einen gemütlich aussehenden Gaul. Es ging ganz gut mit uns im langsamen Trab, sodass ich recht schnell einen Blick über die Schulter riskierte – und mir das Lachen kaum verkneifen konnte. Alle hingen wie nasse Säcke auf den Pferderücken, die Angst im Nacken, keiner von uns konnte reiten. Bei mir sah es bestimmt nicht schneidiger aus, aber wenigstens durfte ich rasch
Weitere Kostenlose Bücher