Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
schlecht – wenigstens was. Dadurch behielt ich meinen Künstlervertrag zehn Jahre lang, bis 1989, und konnte in dieser Zeit sechs LPs machen. Vielen gelang das nicht, schon gar nicht den Eingewanderten.
Die Wassertonne ist leer. Der Sommer 1983 glüht vor Hitze. Ganz selten nur ziehen ein paar Wolken durch. Seit sie dieses Stück Land hier am Rand einer Laubenkolonie beim Tegeler See gepachtet haben, das anfangs kaum mehr als eine Müllhalde gewesen ist, haben sie schwer geschuftet. Haben Unrat, Steine und alte Metallteile abtransportiert, Unkraut gerupft, abgeholzt, Beete angelegt. László hat sogar die alte Holzhütte umgebaut – was vorher windschief gewesen war, steht nun wieder fest. Ziemlich viel Schweiß ist geflossen. Jetzt ist endlich alles getan.
Der Schatten der Bäume lockt nicht nur sinnlos, endlich kann er genossen werden.
Mit ihrem Einsatz für das grüne Fleckchen haben sie auch die Zuneigung der Nachbarn gewonnen – das kann man nicht hoch genug veranschlagen. Denn die Ansprüche der Schrebergärtner sind hoch, die Regeln streng. Man muss sich erst mal beweisen, wenn man als gleichberechtigt hier aufgenommen werden will.
Mann und Sohn sind am See, sie werden irgendwas bauen und sich dann in die trüben, lauwarmen Fluten werfen. Während die Ausflugsdampfer vorbeituten, schläfrige Passagiere an Deck – so heiß ist es dieses Jahr, dass der Alkoholkonsum am hellen Tag zurückgeht, klagen die Gastwirte.
Im Schatten bei der Hütte liegt es sich angenehm. Wenn Westberliner zu etwas begabt sind, dann zur Gestaltung abgeschotteter kleiner Idyllen. Wo man ein Hündchen neben sich tätscheln, ein Piccolöchen genießen und ein Gewitterchen überstehen kann. Westberliner sagen auch gern, dass nichts so heiß gegessen wird wie gekocht. Und Westberliner glauben, dass immer im letzten Moment von irgendwoher einer helfen kommt.
Das ist ihre Lehre aus der Geschichte.
Eigentlich kann sie sich nicht vorstellen, jemals eine richtige Westberlinerin zu werden. Aber die lässige Ruhe hier am Tegeler See ist bestechend. Hektik war damals, auf der anderen Seite der Mauer. War auch im Wedding, wohin man jetzt im Sommer immer nur für Büroarbeiten und ein paar Nächte zurückkehrt.
Westberliner leben gerne am Wasser und paddeln dann in die Abendkühle hinaus, eine Weiße mit Schuss an Bord. So hätten es ihre Eltern auch gern gehabt, im Urlaub fuhren sie mit den Kindern vorzugsweise ans Meer, genossen zwei Wochen Wasserfreuden.
Westberliner glauben, eigentlich stünde ihnen solch ein Leben für immer zu.
»Man muss nur wollen«, grinsen sie und prosten sich über den Zaun zu.
Wenn Westberliner traurig sind, dann hören sie ihren Lord Knut im Radio, den Schlagerfuzzi vom Rias Berlin. Der würde wissen, mit wem er spricht, wenn er mit ihr ein Interview machte. Die Nachbarn hier wussten anfangs nicht, wer sie ist. Für die war sie einfach die Mutti vom Benjamin, eine gut aussehende blonde junge Frau, verheiratet mit diesem Südländer, der so geschickt die Laube instand gesetzt hat und den Brunnen und überhaupt ’ne Menge Handwerkskram auf dem Kasten hat. Nette Leute, sogar die Schwiegermutter, die manchmal mitkommt und dann gern etwas häkelt oder strickt. Mit der kann man aber nicht reden, die versteht einen schlecht. Die junge Frau übersetzt dann manchmal. Was die beruflich macht? Keine Ahnung, hab sie nicht gefragt, vielleicht Hausfrau? Muss ja nicht jeder unbedingt immer was machen, hier in Westberlin, wa? Wenn ’ne junge Frau sich um Mann und Kind kümmert und zu Hause bleibt, ist doch ooch prima…
Während sie den Liegestuhl etwas verschiebt, weil der Schatten wandert, fragt sie sich, warum es in ihrem Beruf fast unmöglich ist, einfach nur seine Arbeit zu tun. Singen. Etwas, das sowieso unterschätzt wird – seine inneren Kräfte so zu sammeln und bündeln, dass sie Gefühle nach außen transportieren und Fremde sich dadurch berührt fühlen. Dazu braucht es Lieder, die der inneren und äußeren Stimmung entsprechen. Wenn so ein Lied gefunden ist, geht es eigentlich nur um den Ausdruck, nach dem es verlangt, um den bestmöglichen Gesang.
In diesem geteilten Land ist das wohl unmöglich. Vielleicht geht es in Amerika, vielleicht lässt man Aretha Franklin oder Eartha Kitt damit durchkommen. Genießt einfach die Stimme und was sie einem zu singen hat. Fertig. Hier dagegen wird immer auch eine »Haltung« erwartet, nach einer Botschaft gesucht, einer offensichtlichen oder besser noch einer
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