Das Lustschiff
Bett. Am liebsten wäre es ihr, die MS Sea Love würde sofort auslaufen, doch Carolin würde sich noch einen Tag gedulden müssen. Ihr war bewusst, dass ihre Arbeitswut einer Flucht gleichkam. Ihr Privatleben existierte gar nicht – und das war gut so. Anders wollte sie es nicht. Ein Klopfen an der Tür schreckte sie aus ihren Gedanken.
Wer konnte das sein? »Ja, bitte?«, rief sie und klappte ihren zweiten Koffer zu. Die Tür ging auf, und ein junger Mann in fescher Arbeitskleidung trat ein. Ein gewinnendes, aber auch sehr unechtes Lächeln erschien auf seinen Lippen, während er sie von oben bis unten musterte.
»Und Sie sind?«, fragte sie gereizt, weil der Unbekannte ihr nicht in die Augen, sondern ganz woandershin sah. Erst da merkte der junge Mann, dass er sie ungehörig lange angestarrt hatte. Für ihre schlanke Figur hatte sie recht große Brüste, um die sie früher oft beneidet worden war. Sie selbst fühlte sich gar nicht allzu wohl mit ihrer Körbchengröße. Sie fand das zusätzliche Gewicht unpraktisch, vor allem beim Schwimmen.
»Leonard Wagenstein, Restaurantleiter im Tropico . Außerdem zuständig für die Sicherheit an Bord. Ich bin Ihnen direkt unterstellt, Frau Winter, und wollte mich vorstellen.« Viele der Bordangestellten hatten eine Prüfung in Erster Hilfe und für Sicherheitsunterweisungen abgelegt. In Notfällen waren sie es, die die Passagiere anleiteten oder eine Massenpanik verhinderten. Kein leichter Job, wenn wirklich etwas Unvorhergesehenes geschah.
»Wie nett von Ihnen, Herr Wagenstein.«
Er grinste und starrte immer noch – oder schon wieder – auf ihren Vorbau.
»Wenn Sie möchten, führe ich Sie gern herum, damit Sie die Sea Love kennenlernen. Wie ich hörte, sind Sie für meinen Vorgesetzten kurzfristig eingesprungen und dies ist Ihre erste Fahrt mit unserem wunderschönen Schiff.«
»Sehr freundlich, aber ich bin gerade noch am Auspacken. Vielleicht etwas später?«
»Sehr gern, Frau Winter. Ich schaue nachher noch einmal bei Ihnen vorbei.«
»Nur zu.«
Er lächelte sie an und ging. Doch die Wände an Bord waren dünn, und so hörte sie, wie Leonard und ein zweiter Mann sich vor der Tür unterhielten.
»Hübsches Mädchen.«
»Das habe ich dir doch gesagt, Leo. Als ich ihren Namen auf der Liste sah, musste ich gleich an diese Äpfel denken. Aber mach dir keine Hoffnungen, an diese Früchte kommst du nicht ran. Ich bin schon mal vor ein paar Jahren mit ›Madame de Winter‹ gefahren. Ihr Name ist Programm. Die ist kalt wie ein Eisblock.«
Die Worte versetzten ihr einen Stich ins Herz. Sie eckte oft an, weil sie nicht immer aus sich herauskam, aber sie war doch kein eiskaltes Biest! Carolin war einfach kein Mensch, der allzu offenherzig war und auf andere zuging. Dennoch erwarteten die meisten genau das von ihr. Warum auch immer.
Jetzt erkannte sie auch die zweite Stimme. Sie gehörte Manfred Fiedler. Der Mann hatte früher im Bordcasino gearbeitet und war zudem Sicherheitsbeauftragter. Vor einigen Jahren hatte er ihr schöne Augen gemacht, war aber bei ihr abgeblitzt, weil sie seine Anmache ziemlich einfallslos gefunden hatte. War das nun die späte Rache?
»Ich werde das Eis schon zum Schmelzen bringen«, hörte sie Leonard sagen.
Carolin schmunzelte. Wenn der hübsche Kerl sich da mal nicht täuschte. Davon abgesehen, war er viel zu jung für sie.
Die Schritte der Männer entfernten sich, und Carolin konnte endlich ihre Koffer verstauen und sich auf ihre Aufgabe konzentrieren. Morgen in aller Herrgottsfrühe würde es losgehen. Wie sie es liebte, auf Reisen zu sein. Als Sicherheitsoffizierin hatte sie genau den richtigen Job, um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Oft saß sie abends stundenlang auf dem Sonnendeck und beobachtete das Spiel der Wellen. Ein Leben ohne das Meer konnte sie sich nicht vorstellen. Es war ihr ein Vertrauter, ein Verbündeter. Jemand, der sie davon ablenkte, dass daheim niemand war, der auf sie wartete, ihre Rückkehr ersehnte. Das heißt, vor langer Zeit hatte es diesen Jemand gegeben. Doch der hatte ein falsches Spiel mit ihr gespielt. Sie verdrängte den Gedanken an Daniel schnell wieder. Er hatte hier nichts zu suchen. Dies war ihre Welt, ein Ort der Sicherheit, der Entspannung, der Freiheit. Carolin seufzte leise und ging einige ihrer Unterlagen durch. Eine Namensliste derer, die ihr direkt unterstellt waren. Die meisten kannte sie nicht, doch morgen würde sie die Sicherheitsbeauftragten kennenlernen, die
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