Das Lustschiff
Und das oft aus Situationen, die weit gefährlicher waren als ein Sprung in zehn Meter Tiefe.
»Sie haben es gleich geschafft, nur noch ein paar Sprossen«, hörte sie ihn hinter sich. Erschrocken wandte Carolin den Kopf. Der Amerikaner war direkt hinter ihr, war ebenfalls hochgeklettert. Was sollte das?
»Gehen Sie wieder runter!«, schimpfte sie, aber er lachte nur. Carolin hatte jetzt nicht den Nerv für einen Streit. Sie war schon viel zu weit oben, konnte nun nicht mehr zurück. Sie zog sich an den beiden Stangen hoch und stand auf dem Brett, blickte in die Tiefe. Der Turm schien zu wackeln. Hoffentlich bildete sie sich das nur ein.
Langsam trat sie an den Rand des Brettes. Ihr schwindelte, zumal es unter ihren Füßen leicht wippte. Fast verlor sie das Gleichgewicht, aber da schlangen sich plötzlich zwei kräftige Arme um sie.
»Sind Sie etwa nicht schwindelfrei?«, neckte sie der Fremde. Carolin hätte ihn empört zurückstoßen sollen, aber sie genoss das Gefühl seiner Nähe, die Wärme, die sein Körper ausstrahlte, viel zu sehr. Außerdem gab er ihr Halt. Der Turm schien nicht mehr zu wackeln, das Brett nicht unter ihr nachzugeben. Und noch etwas löste diese zweckmäßige Umarmung in ihr aus. Etwas, was sie lange entbehrt hatte und nun umso stärker vermisste …
»Ich lasse Sie gleich los«, hauchte er ihr ins Ohr. Sein Atem hinterließ eine warme Spur an ihrem Ohrläppchen, kitzelte sie. »Und sobald ich Sie loslasse, werde ich Ihnen einen Stoß geben.«
»Was?« Carolin war entsetzt. Er wollte sie ins kalte Wasser werfen? Einfach so? Ehe sie protestieren konnte, spürte sie seine Hände an ihren Schultern, die sie nach vorn schoben. Es ging viel zu schnell, sie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Carolin verlor den Halt unter den Füßen, doch instinktiv spannte sie jeden Muskel an, sauste in die Tiefe, durchbrach die Wasseroberfläche wie ein Pfeil. Und kaum hatte sie den Grund des Beckens erreicht, trieb sie auch schon wieder in die Höhe, schwamm zum Beckenrand. Es war vorbei! Das waren nur Sekunden gewesen!
Sie zitterte vor Aufregung, zugleich schossen Unmengen an Endorphinen durch ihren Körper, weil sie es geschafft hatte. Zugegeben mit etwas unfairer Unterstützung. Sie wusste gar nicht, ob sie wütend oder dankbar für die Einmischung des Fremden sein sollte.
»Achtung! Ich komme!«, rief er und sprang ins Wasser. Carolin wandte den Kopf, klammerte sich am Beckenrand fest und fluchte leise, als abermals die Wassermassen über sie hinwegschwappten. Als sie sich jedoch nach dem Amerikaner umdrehte, war dieser noch nicht an die Oberfläche zurückgekehrt. Er blieb auf dem Grund des Beckens. Hatte er sich verletzt? War er ohnmächtig geworden? Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Wie oft hatte sie Menschen vor dem Ertrinken gerettet. Es war dennoch immer wieder ein Schock, wenn sich eine solche Notlage ereignete.
Carolin zögerte keinen Augenblick und tauchte unter, um den Fremden so schnell wie möglich an die Oberfläche zu bringen. In solchen Momenten zählte jede Sekunde! Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Der junge Mann schwebte scheinbar schwerelos durchs Wasser, seine Augen waren geschlossen, er bewegte sich nicht mehr. Rasch legte sie ihren Arm von hinten um seine Brust, um ihn mit aller Kraft hochzuziehen, als er sich plötzlich aus ihrem Griff befreite und den Kopf schüttelte. Sie erschrak so sehr, dass sie vor lauter Schreck Wasser schluckte. Was sollte das?
Er reckte den Daumen, um ihr anzudeuten, dass alles in Ordnung war. Carolin hatte für solche Scherze aber kein Verständnis. Sie hatte sich Sorgen um diesen Spinner gemacht. Über so etwas konnte sie nicht lachen. Wütend kehrte sie an die Oberfläche zurück, stieg aus dem Becken. Für heute hatte sie genug. Der Schock saß ihr noch immer in den Gliedern. Unfälle passierten schließlich überall.
Sie hatte den Ausgang des Hallenbereichs fast erreicht, als sie ein »Hey! Wo wollen Sie denn hin?« hinter sich vernahm. Offenbar war der verrückte Ami zur Vernunft gekommen und hatte seinen Spontan-Tauchtrip abgebrochen. Für ihren Geschmack kam das reichlich spät. In ihrem Job hatte sie viele gerettet, aber eben auch nicht jeden, denn manchmal war Hilfe zu spät gekommen. Solche Erlebnisse brannten sich ein. Und derlei Scherze konnten leicht als Trigger fungieren. Sie hatte jetzt keine Lust auf eine weitere Unterhaltung. »Lassen Sie mich in Ruhe«, sagte sie knapp und verschwand in der Damendusche.
Erst als sie
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