Das Luxemburg-Komplott
Licht warf, glänzte das Kopfsteinpflaster vor Nässe. Manche Stellen wurden glatt, in dieser Nacht würde es frieren. Ihm tat die Kälte gut.
Je länger er bedachte, was geschehen war und was ihm drohte, desto wichtiger erschien es ihm, es möglichst lang auszuhalten auf seinem Posten. Solange er Funktionär der Regierung war, würden sich Friesland und seine Helfer vorsehen. Was nicht bedeutete, dass sie nichts tun würden gegen ihn. Aber sie konnten nicht riskieren, dass Führer der KPD als Auftraggeber eines Mordes an einem Regierungsfunktionär entlarvt würden. Das würde das Ansehen der Kommunisten schädigen, wo diese doch in der Konkurrenz mit den Unabhängigen zwar aufholten, aber immer noch eine Gruppe waren, deren Machtanspruch ihre Zahl weit übertraf.
Nur wenige Menschen hasteten an ihm vorbei. Er begegnete einer Doppelstreife der Miliz, die musterten ihn nur. Sie hatten Schals umgebunden und die Mützen tief ins Gesicht gezogen. Zacharias hatte von Übergriffen gehört gegen Milizangehörige, Messerstiche in den Rücken, Prügeleien und Rüpeleien. Aber die beiden sahen lieber wenig, als zu frieren. Es wäre einfach gewesen, sie von hinten anzugreifen. »Du denkst immer an das Schlimme«, schimpfte er vor sich hin.
Dann hatte er das Gebäude der USP erreicht. Er meldete sich an der Pforte an und wurde gleich vorgelassen zu Däumig.
»Ah, der Genosse Zacharias«, sagte Däumig, er kramte auf einem Tisch in einem Aktenstapel. »Habe gerüchteweise gehört, Sie haben Ärger mit Ihren Genossen.«
Zacharias winkte ab. »Wer hat das nicht?«
»Das ist ein wahres Wort. Ich hoffe, es renkt sich wieder ein.«
»Bestimmt«, erwiderte Zacharias. Ich brauche Däumig ja nicht draufzustoßen, er wird selbst die Lunte riechen.
»Und was hat die Kommissionsarbeit bisher ergeben?«
»Dass es keinen Mordanschlag auf die Genossin Luxemburg gab.«
Däumig blickte ruckartig auf von seinem Stapel, blieb aber in gekrümmter Haltung stehen. Er schnalzte mit der Zunge.
Zacharias legte dar, warum der Anschlag fingiert erschien. Däumig starrte ihn an, dann nickte er leicht. Als Zacharias berichtete, der Mann, der den Trupp in die Reichskanzlei geführt habe, sei bei der Schießerei in Lichtenberg gesehen worden, schlug Däumig auf den Tisch. »Das ist die Höhe. Aber was soll der Grund sein?«
»Da kann man nur raten.«
»Dann raten Sie, das ist Teil Ihrer Aufgabe.«
»Der Anschlag sollte Stimmung machen, damit die Kräfte es leichter haben, die auf die Zentralgewalt setzen, die alle Abweichungen einebnen wollen.«
»Die das einführen wollen, was der verehrte Genosse Lenin kürzlich Kriegskommunismus genannt hat.« Er streckte sich, der Rücken schmerzte. Dann fuhr er sich mit der Hand durch die Haare. »Dazu passt ja, dass bald die erste Nahrungsmittellieferung aus Russland in Berlin eintrifft. Ich habe das gerade erfahren. Die Genossen Spartakisten werden großes Theater machen, die Leute werden beeindruckt sein, und dann noch ein fingierter Anschlag. Passt gut zusammen, ist so eine Art Choreographie. Nicht schlecht, wenn es so geplant war.«
»Manchmal passen Dinge zusammen, obwohl sie nicht geplant waren. Manchmal passen Dinge nicht zusammen, obwohl sie geplant waren.«
»Sie sind ja ein richtiger Philosoph.« Däumig lachte trocken. »Und nun haben Sie Ärger mit Ihren Genossen, nicht wahr?«
Zacharias nickte. »Sie nehmen es mir auch übel, dass ich bürgerliche Kriminalisten beschäftige.«
»Ich weiß nicht, wie lange ich Sie halten kann gegen den Widerstand Ihrer Leute. Die Genossin Luxemburg stützt Sie noch?«
»Ja. Aber gegen eine Mehrheit kann auch sie wenig ausrichten.«
»Immerhin ist sie Regierungsmitglied. Wichtig ist ja, dass wir in der Regierung eine Mehrheit finden, die die Untersuchungskommission behalten will. Allerdings, wenn es keinen Mordanschlag auf die gute Rosa gab, was bleibt zu untersuchen?«
»Genosse Däumig, es sind Bewaffnete in die ehemalige Reichskanzlei eingedrungen und haben zwei Genossen getötet und weitere verletzt. Ich möchte herausbekommen, wer dahintersteckt und was der Zweck dieser Aktion war. Und, bei aller Bescheidenheit, ich glaube, die Regierung sollte das auch wissen wollen.«
»Wenn Sie wüssten, was wir alles wissen müssten. Wir leben im Zustand vollkommener Anarchie. Nichts funktioniert, vor allem nicht die Versorgung. Unsere Bauern rücken nichts raus. Sie sagen, unsere Währung taugt nichts, weil man dafür nichts kaufen kann. Leider haben sie
Weitere Kostenlose Bücher