Das Luxemburg-Komplott
das Geld gleich haben?«
»Am liebsten wäre ihm was zu essen. Vielleicht kannst du etwas besorgen, das wäre die beste Bezahlung. Sonst nimmt er auch Edelmetall. Hattet ihr nicht eine Silberschale und etwas Besteck?«
Sie erinnerte sich besser als er. Er würde die Dinge suchen und damit die Beerdigung bezahlen. Was sollte er mit Silber und was mit den Erinnerungen, die daran hingen? Es würde doch alles nur schwerer machen.
Dann gingen sie ins Schlafzimmer. Sie zog sich fröstelnd aus, und er sah die Hautbeutel, die früher ihre Brüste gewesen waren. Ihre Augen, größer in dem mageren Gesicht, schauten ihn an und sagten: Nimm, wenn du willst. Aber er konnte nicht. Sie schien nicht enttäuscht und legte sich auf die Seite. Er legte sich mit seinem Rücken an ihren und fragte sich, warum es so war mit ihr und mit ihm. Nicht dass er wünschte, es würde sich ändern. Es war richtig so, und was früher gewesen war, war nur eine Erinnerung an etwas, das nie zurückkommen würde.
Er spürte wieder den Zorn auf die Schuldigen an der Katastrophe. Der Kaiser lebte gut im holländischen Doorn. Aber vielleicht ergriffen auch die holländischen Arbeiter bald die Macht, und dann würden sie den Kaiser nach Deutschland bringen und vor Gericht stellen, genauso wie den Verräter Ebert. Dann kamen die Träume von seinen Opfern. Lenin erschien ihm. Sorgen Sie dafür, dass es in Deutschland nach unserer Methode geht. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Lieber einen zuviel erschießen als einen zuwenig. Es schüttelte ihn. Als er die Augen aufschlug, sah er Margarete ihn anstarren. »Was machst du da?« flüsterte sie. »Sei nicht so unruhig. Komm zu mir.«
Er legte sich in ihren knochigen Arm und schlief wieder ein.
*
Am Morgen wachte er zerschlagen auf. Margarete war nicht mehr da. Er fand sie in der Küche. »Im Schlafzimmer deiner Eltern findest du im Schrank einen schwarzen Anzug deines Vaters. Er ist dir zu groß, aber es wird gehen.«
Sie hatte einen schwarzen Rock, eine dunkelgraue Bluse und eine schwarze Weste angezogen. Zacharias überlegte, ob sie zu Hause gewesen war, die Kleidung zu holen, aber er fragte nicht. Sie sprachen fast nichts während des Frühstücks. Danach ging Zacharias ins Wohnzimmer und fand den Silberteller und das Besteck. Vielleicht gab sich Kaminski damit zufrieden.
»Bekommst du eigentlich etwas dafür, dass du dein Leben riskierst?«
»Ja, sie haben mir einen Abschlag gegeben.« Er ärgerte sich über sich.
»Die Ersparnisse reichen nicht mehr lang.«
»Wessen Ersparnisse?«
»Nicht wichtig.«
»Doch.«
»Ich tausche meine Aussteuer ein. Für gutes Tuch bekommt man etwas von den Bauern.«
Jetzt wusste er, was sie tagsüber tat. Er schämte sich, dass er nicht daran gedacht hatte. »Ich kümmere mich drum«, wiederholte er. »Und wenn es besser wird, kaufen wir dir eine neue Aussteuer.«
»Kaufen wir uns …«
»Ja, Entschuldigung.«
Auf dem Friedhof hörte er dem Trauerredner zu. Der wusste einiges von seiner Mutter, und das musste er von Margarete erfahren haben. Sie standen nebeneinander am Grab. Zacharias fürchtete, die vier Sargträger würden zusammenbrechen unter der Last. Er sah den Sarg schon in die Grube hineinfallen und wie er sich öffnete und die Mutter halb herausgerissen wurde. Merkwürdige Gedanken, vielleicht lenken sie dich ab von der Zeremonie. Der Trauerredner war klein und fett. Wie bleibt man fett in diesen Jahren? Er sprach nicht schlecht, vielleicht etwas schmalzig, aber die Mutter hätte es gemocht. Dann ist es richtig. Der Trauerredner schilderte das Leben einer Arbeiterfrau, die sich für die Familie aufopferte, vor allem für die Kinder. Zacharias sah die Mutter in der Küche, wo sie kochte und wusch. Der schwere Zuber mit dem Waschwasser, das so sauber roch, das Bügeleisen, das sie auf dem Herd erhitzte und einmal zu lange auf einem Hemd des Vaters stehen gelassen hatte. Der Brandfleck ging nicht mehr raus, und der Vater zog ein trauriges Gesicht, aber er sagte nichts. Aber er schnauzte Renate an, weil sie über irgend etwas lachte, gewiss nicht über den Fleck. Am Sonntag saßen sie in der guten Stube, Vater las vor, Märchen in den frühen Jahren, dann Anspruchsvolleres, etwa Onkel Toms Hütte , das Zacharias berührt hatte. Was die Tabakarbeiter vorgelesen bekämen, sagte der Vater. Das seien die Gebildeten unter den Proletariern. Sie drehten Zigarren, und der Tarifvertrag stelle einen frei, der dann den Vorleser machte. Sie lasen
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