Das Luxemburg-Komplott
Bürgerkrieg, und es fehlte uns noch, dass die Menschewiki Argumente aus unserem Lager gegen uns erhalten.«
Er goss beiden Tee ein. Dann stand er auf, kratzte sich am Kinnbart und sagte: »Und noch etwas. Wenn die Revolution in Deutschland siegt, dann wird die neue Internationale, die wir in wenigen Wochen gründen werden, ihren Sitz in Berlin haben. Wenn die deutschen Kommunisten sich nicht unseren Auffassungen annähern, dann gibt es« – er suchte das Wort, fand es aber nicht. »Wir müssen dafür kämpfen, dass die Lehren des Bolschewismus überall anerkannt werden. Natürlich ergänzt durch die Erfahrungen unserer deutschen Genossen. Aber wir haben die Revolution gemacht, die anderen werden folgen, und zwar unserem Beispiel. Auch in Deutschland haben die Arbeiter und Soldaten Räte gegründet, wie wir unsere Sowjets. Und ohne Diktatur werden die Kommunisten auch in Deutschland die Konterrevolutionäre nicht niederringen können. Wer, wenn nicht eine deutsche Rote Armee und eine deutsche Tscheka soll die Freikorps und sonstigen Mörderbanden bekämpfen? Wir hoffen, die Genossin Luxemburg entdeckt diese Wahrheit auch. Wenn möglich, nicht zu spät. Sie muss ja immer alles selbst erfinden. Soll sie es. Aber Sie werden ihr dabei helfen. Radek steht in der Hinsicht auf aussichtslosem Posten, die Genossin Luxemburg hasst ihn wegen alter Parteikämpfe, sie wollte ihn nicht nur aus der polnischen, sondern auch aus der deutschen Sozialdemokratie hinauswerfen. Und nun ist der Genosse Radek Lenins Vertrauter in Deutschland. Das macht Ihre Aufgabe nicht leichter.« Dserschinski stand auf, Zacharias wertete es als Zeichen, dass die Einweisung beendet war. »Noch etwas«, sagte Dserschinski. Er öffnete ein Schreibtischschubfach und holte einen Ledergürtel hervor. Auf der Innenseite waren kleine Taschen eingearbeitet. Dserschinski öffnete eine Tasche, eine Goldmünze glänzte. »Den Gürtel haben wir in der Deutschen Botschaft gefunden. Nehmen Sie ihn mit, die Genossen in Berlin können das Gold bestimmt brauchen. Es ist die einzige Währung, die die Inflation nicht auffrisst.«
3
E
r stand vor dem Mietshaus in der Pflügerstraße 32 in Berlin-Neukölln. Der Name stand an der Tür. Seine Hände wurden nass. Er schlug den Eisenklöppel gegen den an der Tür angeschraubten Sockel und wartete. Erst nichts, dann ein Schlurfen. Ein Brauereiwagen fuhr die Kopfsteinpflasterstraße hinunter, der Kutscher rief: »Ho-ho!« Aber das Pferd klapperte so langsam wie zuvor vor sich hin, es schüttelte bedächtig die Mähne. Zacharias suchte mit den Augen die Straße ab, ob irgendwo Menschen darauf lauerten, das Pferd zu töten und es auf offener Straße zu zerfleischen, wie er es in Moskau gesehen hatte. Da öffnete sich die Haustür. Eine Frau mit weißen Haaren schaute ihn an mit großen Augen, dann quollen Tränen hervor. Sie sagte nichts, ging einen Schritt auf ihn zu, fasste ihn an den Schultern und starrte ihm ins Gesicht. Dann umarmte sie ihn. Er spürte ihre Knochen, sie fühlte sich hart an durch die schwere Kleidung. »Sebastian«, sagte sie. Ein Kloß wuchs ihm im Hals. Dann ließ sie ihn los und schaute ihn wieder an. »Dünn bist du geworden. Komm rein.« Sie ging vor zur Wohnungstür im Erdgeschoss .
»Warum ist die Haustür abgeschlossen?« fragte Zacharias, um etwas zu sagen. Der Schreck über den Anblick der Mutter lähmte ihn fast. Sie hatte schwarzes Haar gehabt, als Zacharias in den Krieg zog, und ihre Knochen hatte er nie gespürt. Auch schien sie ihm kleiner, unter den Augen hingen Tränensäcke. Die Warze am Kinn war gewachsen.
Die Mutter schaute ihn traurig an. »Es ist alles anders geworden. Der Krieg, der Hunger. Die Leute stehlen wie die Raben, da muss man die Häuser abschließen, auch am Tag.«
Sie führte ihn in die Küche. Er sah, dass sie schlurfte. Die Küche war so, wie er sie in Erinnerung hatte. Aber es war kalt, der Ofen brannte nicht. Davor lagen in einem Korb zwei Stück Holz. Gleich öffnete die Mutter die Ofenklappe.
»Nein«, sagte Zacharias. »In Russland ist es noch kälter.« Er wusste, es gab nur wenig Brennmaterial in Berlin. »Wo ist Vater?«
Sie schaute ihn traurig an und faltete ihre Hände verkrampft. »Du weißt es ja noch nicht. Er ist gestorben, Typhus. Im Hungerwinter 1917 wurde er krank, es dauerte nicht lange, am 2. Januar haben wir ihn beerdigt.« Vor gut einem Jahr also.
Er schluckte. Dieser verdammte Krieg. Diese Verbrecher, die ihn angezettelt hatten, großkotzig und
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