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Das Luxemburg-Komplott

Das Luxemburg-Komplott

Titel: Das Luxemburg-Komplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian von Ditfurth
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sonst. Und die Schwester? Die hatte geweint. Um sie zu beruhigen, hatte Zacharias gesagt: »Ich komme gar nicht mehr an die Front. Wenn die mich geschliffen haben, ist der Krieg vorbei.«
    »Bestimmt?« hatte Renate gefragt.
    »Steht sogar im Vorwärts , dass die Franzosen die Hosen voll haben. Sie rennen weg, und wir sind bald in Paris.«
    Er fragte sich, ob er es geglaubt hatte. Ja und nein. Er hatte es gehofft. Aber bald war die Hoffnung verflogen, die Franzosen rannten nicht weg, sie gruben sich ein wie die Deutschen auch.
    Jetzt erst spürte er die Müdigkeit. Die Reise war ohne Schwierigkeiten verlaufen, aber auf der Schiffspassage von Riga nach Hamburg hatte er sich einige Male übergeben müssen wegen der rauen See. Die Mutter schmierte Brote mit Margarine.
    »Viele haben nicht mal mehr das«, sagte sie.
    Er trank und aß. »Kriegst du eine Rente?«
    »Nein«, sagte die Mutter. »Nur wenn ich selbst ein Krüppel wäre. Wäre der Krieg nicht gewesen, dann wären der Vater und Renate noch am Leben.«
    Ja, hätte es doch keinen Krieg gegeben. Er hat alles zerstört, und nicht einmal die Sieger haben etwas gewonnen. Zacharias dachte an die ersten Tage des Kriegs, so viele waren begeistert gewesen, aber nicht alle. Auch mancher, der jubelte, schrie um so lauter, je näher die Angst ihm rückte. Damals glaubten fast alle, Deutschland müsse sich verteidigen gegen Russland, den Hort der Reaktion. Siegte der Zar, gäbe es nichts mehr von dem bisschen Freiheit, die Organisationen der Arbeiter würden unterdrückt. Wenn es gegen Russland ging, hätte selbst Bebel den Schießprügel geschultert. Das hörten und lasen sie damals in den sozialdemokratischen Zeitungen. Aber Bebel war lange tot, und Deutschland hatte sich nicht verteidigt, sondern angegriffen, vor allem die Habsburger ermutigt, mit den Serben abzurechnen, weil die angeblich schuld waren am Attentat auf den Thronfolger und seine Frau. Sie waren belogen worden.
    Die Mutter saß ihm gegenüber und schaute ihn an. »Was willst du nun tun? Wie war es in Russland? Erzähl!«
    »In Russland war es kalt, und die Menschen haben noch weniger zu essen als hier. Aber sie haben den Zaren verjagt und eine Revolution gemacht für die Arbeiter und die Bauern. Noch geht es drunter und drüber, aber wir werden das schon schaffen.«
    »Wir?«
    »Ja, ich auch. Ich habe mitgemacht, und ich bin stolz, dass ich es durfte.«
    »Revolution gab es hier auch«, sagte die Mutter. Es schien ihr egal zu sein, jedenfalls klang sie unbeteiligt.
    »Aber sie ist auf halbem Weg steckengeblieben.«
    »Vielleicht hätte Vater es auch so gesehen. Ich weiß es nicht. Jedenfalls machen sie überall Jagd auf Spartakisten, und sie schießen sie tot. Was willst du nun tun? Es gibt so viele Soldaten, die Arbeit suchen.« Sie sah so alt aus und so müde.
    Er schüttelte den Kopf. »Ich will helfen, die Revolution weiterzuführen, bis sie ihren Namen verdient.«
    Die Mutter schaute ihn traurig an. »Noch mehr Tote, noch mehr Elend. In Russland gibt’s doch auch nur Mord und Totschlag. Das sagen alle.«
    »Schuld sind die Ebert und Scheidemann. Die haben die Gelegenheit nicht genutzt. Wir hätten alles haben können ohne Blutvergießen. Aber statt dessen haben sie die Freikorps auf die Arbeiter losgelassen. Wenn Vater das erlebt hätte.«
    »Hoffentlich weißt du, was du tust.«
    Sie saßen noch lange da. Meistens schwiegen sie. Sonst redeten sie über die Familie und wie es früher war. Dann konnte Zacharias sich der Müdigkeit nicht mehr erwehren. Er nahm eine Goldmünze aus dem Gürtel, den Dserschinski ihm mitgegeben hatte. Das Stück glänzte auf dem Tisch. Die Mutter starrte es an.
    »Ich will dir nicht auf der Tasche liegen«, sagte er.
    Die Mutter nahm das Stück und betrachtete es. Erst wollte sie fragen, wo das Gold herkam, aber dann schloss sie den Mund, stand auf und legte das Stück unter eine Dose im Küchenschrank. Zacharias wusste, früher hätte sie von ihm kein Geld angenommen. Gold war jeden Tag mehr wert, die Reichsmark verfiel in der Nachkriegsinflation.
    In der Nacht lag er in seinem Zimmer im Bett und versuchte vergeblich zu schlafen. Erinnerungen kamen an die Schulzeit, die Lehre bei Borsig und die ersten Jahre an der Drehbank. Gesichter von Kollegen tauchten auf und verschwanden. Immer wieder der Vater und Renate. Er versuchte sich vorzustellen, wie Margarete aussehen mochte. Aber ihr Bild blieb blass. Wie war ihre Stimme? Wie hatte sie sich bewegt? Ob sie auch tot war? Und

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