Das Luxemburg-Komplott
werden sie verraten. Das musste den Verdacht doch auf ihn und seine Kumpane lenken.«
»Da hat uns der Überfall auf die Reichskanzlei geholfen. Er hat die Ermittlungen abgelenkt.«
»Aber den habt ihr nicht inszeniert?«
»Nein.«
Das Bild wurde klar. Weil die Anschläge auf Rosa gescheitert waren, gab man ihm den Mordauftrag. Ihm, der schon in Russland gezeigt hatte, dass er im Kampf die Nerven behielt. Sie haben sich keinen Schlechten ausgesucht, dachte er. Aber den Falschen.
Was mache ich nun mit Sonja?
»Lass mich leben«, sagte sie. Sie wusste, was er tun musste. Und sie wusste, was sie tun müsste, wenn er sie laufen ließ. »Ich werde dich nicht verraten.«
Er hob die Waffe und drückte ab. Auf ihrer Bluse wuchs schnell ein roter Fleck.
*
Am Morgen danach war er zu früh in der Reichskanzlei. Zacharias setzte sich in Rosas Dienstzimmer und versuchte sich zu konzentrieren. Er war erleichtert, dass Bronski Margarete nichts mehr antun konnte. Und doch fand er es richtig, dass er ihr diesen Brief geschrieben hatte. Er fühlte sich verpflichtet, ihr wenigstens zu erklären, dass sie nicht auf ihn warten sollte. Er überlegte, wie sie es aufnehmen würde, aber es fiel ihm nichts ein. Wahrscheinlich so gleichmütig niedergeschlagen, wie sie lebte. Er fand keine Trauer in sich, nur Leere und Erschöpfung.
Bevor er ging, hatte er sich in seiner Wohnung umgesehen, ob er etwas mitnehmen sollte. Aber er entschied sich, alles zurückzulassen, was ihn an zu Hause erinnern könnte. Ihm war klar, er würde nie wieder nach Deutschland zurückkehren. Sie würden bald herausfinden, wer Bronski und Sonja getötet hatte, die Milizionäre und die Nachbarin würden sich erinnern. Egal, was aus der Revolution wurde, diesen Doppelmord würde ihm jede Regierung anhängen, und kein Richter würde ihm glauben, er habe Bronski aus Notwehr erschossen. Er hätte ihn in jedem Fall getötet. Und nun floh er mit Rosa in die Schweiz, ein Grund mehr für Revolutionäre und Konterrevolutionäre, ihn zu jagen.
Sie kamen pünktlich. Rosa und Jogiches gaben Zacharias die Hand, sie sagten nichts. Er spürte ihre Anspannung. Gewiss hatte sie die Nacht gerätselt, ob sie nicht bleiben und sich weiter dem Kampf stellen sollte. Aber welchen Sinn hatte ein Kampf, den sie schon verloren hatte? Die Zahl ihrer Feinde wuchs so schnell wie das Durcheinander im Land.
Vorne und hinten je ein gepanzerter Lastwagen, in der Mitte der NSU. Jogiches saß auf dem Beifahrersitz, Rosa und Zacharias hinten. Der Fahrer war ein kräftig gebauter Mann mit einer Schirmmütze auf dünnem schwarzem Haar, das vor Pomade glänzte. Er rauchte eine Zigarette und brummte etwas vor sich hin, das niemand verstand.
»Wir müssen Kassel weiträumig umfahren, Stadt und Umland sind unter Kontrolle der Reichswehr«, sagte Jogiches.
Er sagte, was jeder wusste. Und jeder hatte sich schon gefragt, warum Groener nichts tat. Sie hatten Zehntausende von Soldaten, wenn nicht Hunderttausende zusammengezogen und warteten. Die Rote Armee mühte sich, die feindliche Streitmacht zu beobachten, und meldete nach Berlin, dass immer mehr Truppen auf Kassel zumarschierten. Rote Truppen begannen einen Sperrgürtel zwischen Kassel und Berlin aufzubauen. Selten gab es Gefechte, und wenn, dann wurden sie nicht zu Ende geführt.
»Wir fahren über Wittenberge, Leipzig und Weimar, von dort nach Frankfurt, dann weiter in den Süden.«
Der Fahrer nickte.
Stundenlang blickten sie hinaus in den anbrechenden Frühling. Die Straßen glänzten vor Nässe, die Reifen zischten über Asphalt und rumpelten über Kopfsteinpflaster. Sie trafen auf wenig Straßensperren, an denen sie nur kurz aufgehalten wurden. Die Soldaten achteten Rosa immer noch als Revolutionsführerin, neben Liebknecht war kein Name bekannter.
Sie übernachteten in einem kleinen Hotel in Weimar. Dort erfuhren sie vom Personal, Ebert sei erschossen worden. Erst war es ein Gerücht, dem kaum einer glaubte, dann wurde es überall erzählt. Zacharias versuchte stundenlang, telefonisch nach Berlin durchzukommen. Als er dann endlich die Reichskanzlei erreicht hatte, erklärte ihm irgendein Genosse, der Volkszorn habe dem Volksfeind Ebert einen kurzen Prozess gemacht. Sie hätten Wichtigeres zu tun, als sich damit weiter zu befassen. Ein sowjetischer Genosse sei in der Wohnung einer deutschen Genossin ermordet worden. Die deutsche Genossin sei schwer verletzt und werde auch sterben. Die Miliz sei dem Mörder dicht auf der Spur. Er
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