Das Luxemburg-Komplott
schieße nicht auf eine Frau, sondern auf einen Feind. Ich bin Funktionär der Tscheka, was glaubst du, wie viele ich schon erschossen habe? Auch Frauen.«
Jetzt las er Angst in ihrem Gesicht.
»Wir sind durch die Gegend gezogen und haben sie aufgehängt und erschossen, die Popen, Gutsbesitzer, Kulaken und alle, die gegen uns waren oder im Verdacht standen, die Weißen zu unterstützen. Da haben wir nicht lange gefragt. Und jetzt frage ich auch nicht lange.« Er holte aus der Jackentasche das Ersatzmagazin und lud die Mauser. Nie hatte ihm seine russische Vergangenheit so deutlich vor Augen gestanden wie jetzt. Und nie ihre tödliche Logik. Wenn Sonja überlebte, erwischten sie ihn, und Rosas Flucht würde scheitern.
»Wir mussten es tun«, sagte Sonja mit leiser Stimme.
»Was?«
»Wir haben dem General Groener Hinweise gegeben.«
»Du hast der Obersten Heeresleitung in Kassel gesagt, wo sich Rosa aufhält. Und Pieck war dein Komplize, nicht wahr?«
Sie nickte.
»In wessen Auftrag?«
Sie deutete auf Bronskis Leiche. »Das fragst du? Ausgerechnet du? Dserschinski hat den Auftrag gegeben, und der hat das nicht befohlen ohne Lenins Zustimmung.«
»Ihr wolltet Rosa ausschalten, weil sie Lenins Methoden kritisiert hat?«
»Wir mussten verhindern, dass ihr Buch über die russische Revolution erscheint. Und wir mussten verhindern, dass ihr Glaube an die Massen den Aufbau der neuen Partei verhindert. Sie ist gefährlicher als die Konterrevolution. Wenn der Typhus einmal in den Körper eingedrungen ist, dann richtet er ihn zugrunde.«
»Du meinst, Rosa sei eine Krankheit?«
»Eine Krankheit des Kopfes«, sagte sie. Sie sprach voller Hass. »Sie lebt im Traumland und richtet die Revolution zugrunde.«
Aber warum haben sie mich beauftragt, auf Rosa aufzupassen? Ich verstehe es nicht. Oder doch, jetzt verstehe ich es. Damit sie hinterher auf mich zeigen konnten, um zu beweisen, sie hätten alles versucht, um Rosa zu schützen. Sie wollten mich mit ihr umbringen, und wenn ich überlebt hätte, was hätte ich gesagt? Natürlich, dass die Tscheka doch alles versucht habe, den Anschlag zu verhindern, Lenin selbst habe sich gesorgt, obwohl er wusste, dass Rosa anders dachte als er. Was für ein perfider Plan. Und ich bin der dumme Junge im Spiel. So liegen die Dinge, eine andere Erklärung gibt es nicht. Aber er würde es nie beweisen können. Genausowenig den Mordauftrag, den Bronski ihm gab, denn den einzigen Zeugen dafür hatte er erschossen. Ein tödliches Labyrinth.
»Also, im Januar, nach dem gescheiterten Aufstand, Verrat der geheimen Wohnung in Wilmersdorf, aber irgendwie hat es nicht geklappt. Sie wurde gefangengenommen, aber nicht getötet.« Zacharias schaute sie zornig an.
Sie zögerte, dann sagte sie: »Das hat uns erstaunt.«
»War Friesland mit von der Partie?«
Sie nickte. »Aber er war in den Liquidierungsplan nicht eingeweiht, er sollte die Sache politisch vorantreiben, der Gegenpart zu Luxemburg werden, die Mehrheit auf seine Seite ziehen.«
»Du meinst, er hätte beim Morden und Verraten vielleicht nicht mitgemacht?«
»Ich habe es nicht entschieden, das war Dserschinski. Sagt der Genosse Pieck.«
»Einer, den Rosa für einen Freund hält.«
»Was zählt Freundschaft? Es geht um Größeres, um die Geschichte, den Sozialismus.«
»Der Sozialismus erlaubt alles.«
»Natürlich.«
Es war ihm, als hörte er sich selbst. Eigentlich hatte sie recht. Herrschten in Deutschland nicht Verwirrung und Durcheinander? Brauchte es da nicht eine eiserne Hand, die allen Widerstand zerschlug? Hatte nicht er selbst in Russland den Zweck die Mittel heiligen lassen? Sonja stellte ihn vor die eigene Vergangenheit.
Sie schaute flüchtig auf Bronski, und wieder wurde ihr schlecht. Sie würgte.
»Das muss man sehen können als tapferer Bolschewik«, spottete er. »Zumal wenn man sich dazu berufen fühlt, die Geschichte zu verwirklichen.« Und wieder erschien es ihm, als verspottete er sich selbst.
»Aber dann ließen diese Leute von der Garde-Schützen-Kavallerie-Division sie laufen. Wir waren uns sicher, dass sie Rosa umbringen würden.«
»Und warum auch Liebknecht?«
»Das war ein Fehler. Er tauchte in der geheimen Wohnung auf, und dann haben sie ihn mitgenommen.«
»Und weil es nicht geklappt hat, habt ihr den Überfall auf die Villa in Dahlem angezettelt?«
Sie nickte.
»Und ihr hattet nie Angst, dass man euch auf die Schliche kommt? Pieck war verantwortlich für die geheimen Wohnungen, und zweimal
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