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Das Luxemburg-Komplott

Das Luxemburg-Komplott

Titel: Das Luxemburg-Komplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian von Ditfurth
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dann eben ohne ihn. Sollen sie sehen, was wird, wenn sie einfach auf einen verzichteten, der wusste, wie es zuging in einer Revolution. Bitte schön, Genossen. Macht, was ihr wollt.
    Am Nachmittag des 10. Februar, es war ein Montag, fand er endlich einen Zettel im Briefkasten. Darauf stand in Großbuchstaben » HEUTE ABEND 6 UHR TIER GARTEN HUBERTUSBRUNNEN. WARTEN SIE DORT «. Er zerriss den Zettel, nachdem er sich Ort und Zeit eingeprägt hatte.
    Als es Zeit war, fuhr Zacharias mit der Straßenbahn zum Gleisdreieck und stieg um in die U-Bahn, wo die Fahrt in der dritten Klasse zum Bahnhof Zoo zehn Pfennig kostete. Dort setzte er sich wieder in die Straßenbahn. Er stieg oft um und prüfte, ob ihm jemand folgte. In den Wagen sah er viele Krüppel, Menschen fehlten Arme, Beine, Hände, Füße, andere hatten zerstörte Gesichter oder waren blind. Auf den Straßen sah er noch mehr menschliche Ruinen. Sie bettelten oder suchten Arbeit. Ein alter Mann ohne Beine lief auf den Händen über den Bürgersteig. Seine Augen waren leer, er schimpfte unverständlich vor sich hin. Er überquerte die Straße, ohne auf Autos oder Pferdegespanne zu achten, als forderte er den Tod heraus.
    Erst als er sicher war, dass ihm niemand folgte, fuhr Zacharias Richtung Tiergarten. Es war längst dunkel, aber er kannte den Weg und war bald am Brunnen. Die Gaslaternen der Brückenallee warfen fahles Licht auf den Hirsch mit dem Goldkreuz zwischen den Ge weihstangen. Zacharias lief langsam am Brunnen hin und her und beobachtete die Umgebung. Weit weg hör te er Stimmen, wahrscheinlich Betrunkene. Dann knackte ein Zweig, und ein Mann näherte sich schnell. Er trug einen dunklen Mantel und hatte die Mütze tief ins Gesicht gezogen.
    »Sie sind Zacharias?« flüsterte er. Er war bereit, jederzeit zu fliehen.
    »Ja.«
    »Ist Ihnen jemand gefolgt?«
    »Nein.«
    »Sicher?«
    »Ja.«
    »Die erste ökonomische Schrift?«
    »Was?«
    »Ihre erste ökonomische Schrift?«
    »Meine?«
    »Rosas.«
    Zacharias wollte erst sagen, der Mann solle das Idiotenspiel beenden. Aber dann überlegte er und sagte: »Die industrielle Entwicklung Polens.«
    »Name der Katze?«
    Zacharias überlegte, dann erinnerte er sich einiger Bemerkungen Rosas in der Parteischule. »Mimi.«
    »Gut. Morgen mittag um zwei Uhr warten Sie an der Berolina-Statue auf dem Alex vor dem Warenhaus Tietz, bis jemand Sie fragt, wie es Mimi geht.«
    »Da ist doch das Polizeipräsidium?«
    »Genau. Einen besseren Treffpunkt gibt es nicht«, sagte der Mann fast tonlos. Dann verschwand er in der Dunkelheit.
    Zacharias lief zur Straßenbahnhaltestelle und fuhr ohne Umweg zurück. Als er die Küche zu Hause betrat, stand die Mutter am Herd. Sie schaute ihn fragend an, aber er sagte nichts. Er überlegte, ob er ihr erklären sollte, dass er bald ausziehen würde. Aber dann schimpfte er nur übers Wetter und ahnte, die Mutter wusste, dass er es nur tat, um etwas zu sagen.
    »Und Margarete?«
    Was sollte er antworten? Dass er sich nicht traute? Dass er sich vorstellte, sie habe längst einen anderen? Wie sonst sollte er es sich erklären, dass sie nicht mehr nach ihm gefragt hatte? »Ich weiß nicht«, sagte er.
    »Du weißt nicht?« Sie ließ die Frage nachklingen, dann schüttelte sie den Kopf.
    Sie redeten nicht viel beim Abendessen. »Warum erzählst du nichts von Russland?« fragte die Mutter.
    »Ich hol’s nach. Manchmal denke ich, es ist besser, du weißt nichts über mich. Vielleicht hätte ich gar nicht herkommen, sondern mir irgendwo in der Stadt ein Zimmer nehmen sollen. Es kann sein, dass ich Ärger kriege. Ich will dich da nicht hineinziehen.«
    »Ärger bin ich gewöhnt. Was denkst du, wie oft Vater Streit mit den Behörden hatte in der Kaiserzeit. Er hat ja sogar im Gefängnis gesessen.«
    »Das ist heute anders. In Berlin wird man in diesen Tagen auf der Flucht erschossen. Lies mal die Zeitungen.«
    Die Mutter schaute ihn traurig an. »Spartakus?« fragte sie.
    Er zeigte ihr die Handflächen. »Besser, du weißt nichts.«
    »Junge, Junge«, sagte sie. »Aber ich werde dich kaum davon abbringen können, fürchte ich. Du warst schon früher so stur.«
    »Nenn es konsequent«, lachte er. »Das habe ich von Vater.«
    »Der war auch stur«, sagte sie und lächelte kurz.
    Nach dem Essen zog es ihn hinaus. Er gestand sich nicht ein, was ihn zog, aber seine Schritte führten ihn zu dem Haus, in dem Margarete wohnte oder wenigstens früher gewohnt hatte. Zacharias stand eine Weile vor dem Haus und

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