Das Luxemburg-Komplott
Aber es beruhigte ihn nicht. Wie wird es sein, wenn in Deutschland die Revolution siegte? Würden sie auch töten müssen? Gewiss, entweder die oder wir, das galt auch hier. Und solche Leute, wie sie am Tresen stehen? Wenn sie dann nicht für uns sind, sind sie gegen uns.
Er schaute die Männer an, die ihm den Rücken zuwandten. Sie schimpften auf die Regierung und die Arbeitslosigkeit. »Aber besser Ebert als die polnische Judenhure.« Über dem Tresen an der Wand standen Pokale vor Wandtellern aus Zinn.
Die Tür öffnete sich, kalte Luft strömte in den Raum. Ein Mann schlug in die Hände. Die Männer am Tresen begrüßten ihn lautstark. »Na, hat die Alte dich doch laufen lassen?« Der Mann lachte. Er warf einen Blick zu Zacharias, dann wandte er sich ab.
Zacharias hob die Hand, als der Wirt in seine Richtung blickte. Der Wirt kam, und Zacharias bezahlte. Grußlos verließ er die Kneipe. Die Erfahrung mit diesen Männern bedrückte ihn. Aber gewiss waren andere anders. Es war nicht denkbar, dass es keine klassenbewussten Arbeiter mehr geben sollte. In Berlin, früher Zentrum der weltweiten Arbeiterbewegung.
Bedrückt lief er zurück nach Hause. Die schwarzen Gedanken hinderten ihn lange Stunden zu schlafen.
*
Zerschlagen wachte er am Morgen auf. Die Mutter war schon gegangen. Er hatte das Schlurfen ihrer Schritte noch im Ohr. Mittags klopfte es an der Wohnungstür, er ließ Sonja herein. Sie war gekleidet wie eine bürgerliche Dame, ein schwarzer Hut mit breiter Krempe verdeckte die Augen. Er gestand sich ein, die Kleidung stand ihr gut.
»Nun werden sich die lieben Nachbarn fragen, was es mit diesem Damenbesuch auf sich hat.« Sie lachte. »Sollen sie rätseln. Wir werden heute Radek besuchen, dann Jogiches. Wenn alles gut geht, bringt Jogiches uns zur Genossin Luxemburg. Heute also ist der Tag mit den Berühmtheiten der Weltrevolution. Das können Sie später Ihren Kindern berichten, wenn am 1. Mai die Arbeiter der Sowjethauptstadt Berlin an den Führern der Internationale vorbeidefilieren. Lenin, Trotzki, Liebknecht und Luxemburg werden auf dem Podium am Brandenburger Tor stehen und winken. Die kenne ich persönlich, erzählen Sie dann. Und die Kinder werden es kaum glauben und dann mit stolzgeschwellter Brust im sozialistischen Kindergarten mit ihrem Papa angeben.« Der Hut wippte heftig, als sie lachte. »Nun schauen Sie nicht so finster.«
Warum sollte er ihr von seinen Nöten berichten? Ich bin wahrscheinlich der einzige, den das Gewissen plagt, obwohl doch alles richtig ist, was wir tun.
»Haben Sie einen vernünftigen Anzug oder wenigstens einen besseren Mantel?«
Er blickte sie neugierig an.
»Wir fahren ins Hotel Adlon, da gibt es nur feine Herrschaften. Und dort trinkt heute nachmittag der Genosse Radek Tee. Wir sind eingeladen.«
»In der Zeitung steht, auf seinen Kopf ist eine Belohnung ausgesetzt.«
»Ja, von einem Klub mit dem hübschen Namen Vereinigung zur Bekämpfung des Bolschewismus. Die glauben, Radek sei der Kopf einer Verschwörung mit dem Ziel, Sowjetdeutschland zu gründen. Wenn es doch nur so einfach wäre.«
Wie kann man so fröhlich sein angesichts der Verfolgung und der Morde an so vielen Genossen? Zacharias staunte über Sonja. Vielleicht war es ihre Tarnung. Wenn ja, dann war die Tarnung gut. Wer würde in einer etwas exaltierten Dame einen Kurier der KPD vermuten? Sie spielte mit den Vorurteilen der bürgerlichen Welt. Und es schien ihr Spaß zu bereiten.
Zacharias ging in sein Zimmer und fand im Kleiderschrank weder einen Anzug noch einen Mantel. Da lagen und hingen Hosen, Hemden und Pullover aus der Vorkriegszeit. Er hatte die Kleidung bisher kaum beachtet. Er überlegte kurz, dann ging er ins Schlafzimmer der Mutter. Es war nichts verändert. Das Doppelbett mit zwei Kissen und zwei Decken, zwei Nachttische, gegenüber dem Fußende des Betts der große Kleiderschrank, in dem die Mutter auch die Bettwäsche aufbewahrte. Zacharias zögerte, dann öffnete er den Kleiderschrank. Er sah den Anzug gleich. Er war schwarz und sauber. Der Vater hatte ihn geerbt von seinem Bruder, den die Kinder Onkel Eduard nannten und der durch Heirat zu einem kleinen Vermögen gekommen war. Das half ihm wenig, er starb mit zweiundvierzig Jahren an Lungenkrebs. Der Vater hatte den Anzug vielleicht zwei- oder dreimal getragen.
Zacharias hielt sich den Anzug an, er schien zu passen. Er fand im Schrank einen weißen Kragen, eine Krawatte und schwarze Schuhe. Er nahm die Kleidung mit
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