Das Luxemburg-Komplott
von der Parteischule. Ich war immer auf dem linken Flügel, dort, wo die Genossin Luxemburg heute steht.« Er fand sich pathetisch, aber es war die Wahrheit.
»Aha«, sagte Jogiches. »Immer auf dem linken Flügel.« Er zündete sich eine weitere Zigarette an. »Und die Bolschewiki, wie finden Sie die?«
»Sie haben eine Revolution gemacht. Sie sind die ersten. Das ist doch was.«
»Das ist was«, sagte Jogiches bedächtig. »Dafür haben sie unseren Respekt.«
»Dserschinski ist auch bei ihnen.«
»Der gute Feliks«, sagte Jogiches. »Den haben uns die Bolschewiki gestohlen. Man hört so einiges. Er ist jetzt Leiter dieser Tscheka, die wild um sich schießt. Hätte ich nicht gedacht. Vielleicht zeigt sich an ihm, was aus uns werden kann. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Vielleicht verlangt das Sein manchmal, dass wir töten. Aber die Tscheka ist der Arm einer Diktatur Lenins und Trotzkis, nicht des Proletariats. Wir wollen die Diktatur der Massen, nicht der Partei.«
Zacharias überlegte, er hatte das Chaos in Russland erlebt. Dagegen half nur militärische Disziplin. »Vielleicht ist in Russland alles ein bisschen anders als in Europa. Die Massen dort sind nicht politisch gebildet, es gibt keine sozialistische Tradition wie in Deutschland oder Frankreich. Die meisten Arbeiter können nicht lesen, von den Bauern gar nicht zu reden.«
»Ja, ja«, sagte Jogiches. »Aber Lenin behauptet, so, wie er den Sozialismus macht, müssen ihn alle machen. Sowjetdeutschland, Sowjetfrankreich. Überall die Parteidiktatur. Überall in der Partei die Diktatur des Zentralkomitees. Militärische Disziplin. Den Aufstand planen. Man kann in Russland einen Putsch machen mit einer kleinen Partei. Wenn man das in Deutschland versucht, bricht das öffentliche Leben zusammen. Der Hunger würde noch schlimmer, auch wenn man sich das schlecht vorstellen kann. Dann wird die Diktatur einer kleinen Partei binnen Wochen weggewischt.« Seine Hand wischte über den Schreibtisch. Er zündete sich wieder eine Zigarette an. »Es gibt bei uns ein paar, die auch glauben, Lenin verkünde die Offenbarung. Da wären Sie nicht allein.«
»Ich glaube nicht, dass Lenin die Offenbarung verkündet. Ich glaube jedoch, dass man in Russland nur nach Leninscher Manier Revolution machen kann. Das Proletariat ist eine verschwindende Größe, es gibt fast nur Bauern dort. Für ein solches Land findet man keinen Sozialismus im Lehrbuch.«
»Aha«, sagte Jogiches. »Den gibt es ohnehin nicht. Und wie sehen Sie unsere Lage?«
»Die könnte besser sein. Partei verboten, Parteipresse verboten, Freikorps und Polizei hetzen die Führer. Die Masse folgt den Sozialdemokraten oder den Unabhängigen.«
»Da malen Sie aber ein düsteres Bild«, sagte Jogiches. »Wie kann man mit solchem Pessimismus eine Revolution anfachen?«
»Kurzfristig sehe ich schwarz.«
»Dann ist der Genosse Zacharias aus Russland also ein Schwarzseher.« Jogiches lachte. »Wie gut, dass unser lieber Genosse Lenin das nicht hört. Der sitzt uns nämlich im Genick in Gestalt seines Sendboten Radek und durch diese seltsame Einladung zur Gründung einer Internationale. Sekten aller Länder, vereinigt euch!« Jogiches lachte fast lautlos. »Sie haben recht, Genosse Zacharias, es sieht nicht gut aus. Wir hätten uns nie von der USPD trennen dürfen, jetzt braten wir im eigenen Saft.«
»Du bist der Schwarzseher, Leo.« Eine Frauenstimme aus dem Nebenzimmer. Spott und Lachen lagen darin.
5
Z
acharias erkannte die Stimme sofort. Die Tür zum Nebenzimmer öffnete sich, im Rahmen stand Rosa. Zacharias erschrak. Sie hatte grauweiße Haare, im Gesicht spiegelten sich Erschöpfung, Verzweiflung und die Jahre im Gefängnis. Aber sie hatte immer noch diese unglaublichen Augen, die strafen konnten, spotten und lieben.
Zacharias stotterte. Er stand auf, ging auf sie zu und reichte ihr die Hand. Sie drückte sie kurz und fest. Sie hatte knochige Hände bekommen.
»Wetten, dass wir es noch in diesem Jahr schaffen, Leo?«
Jogiches winkte ab. Er blickte mürrisch. »Du bist schon wie der alte Bebel, der glaubte auch immer an den kurz bevorstehenden Kladderadatsch.«
Sie lachte und setzte sich auf den Sessel. »Was veranstaltet unser Freund Dserschinski, man hört Schauriges.«
Zacharias fühlte sich bedrängt. Er wollte sie nicht anlügen, aber die Wahrheit durfte er nicht sagen. »Man hört viel, ob das alles wahr ist? Der Genosse Dserschinski verteidigt die Revolution, so wie der Genosse Trotzki. In
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