Das Luxemburg-Komplott
angehört und gleich gewusst, dass du der böse Bube bist. Ich rate dir, geh dem Lohmeier aus dem Weg.«
Wenn sie log, dann log sie meisterhaft. Dann war sie eine begnadete Schauspielerin. Vielleicht war sie es ja? Hatte ihn seine Tschekazeit zu misstrauisch gemacht? Sah er die Dinge anders als alle anderen? Was sollte er nun tun? »Wie erklärst du das: Radek wird verhaftet, dann der Überfall in Dahlem? Irgendeiner ist der Verräter. Und der kann nur einer sein, den wir kennen, der im Adlon dabei war und in Dahlem. Das waren du und ich. Niemand sonst.«
»Und weil du von dir weißt, dass du es nicht warst, bleibe ich übrig. Also an die Wand mit mir. Ich erkläre dir jetzt, wie ich es sehe. In beiden Fällen waren du dabei und ich. Da ich von mir weiß, dass ich niemanden verraten habe, bist also du der Spitzel. Richtig? Aber jetzt stell dir mal vor, im Adlon hat ein Hotelgast oder ein Kellner Radek erkannt. Der wurde gesucht, eine Belohnung war auf ihn ausgesetzt. Und in Dahlem hat ein Nachbar etwas gewittert. Spartakisten werden gejagt, da ist der Spießbürger auf der Hut, da reißt er die Augen auf und verdächtigt jeden. Der Zusammenhang zwischen den beiden Fällen ist der Kommissar Zufall, verstärkt durch die Spartakistenhysterie in Berlin. Das wäre meine Erklärung.«
Ihre Erklärung war so gut wie seine, wenn nicht besser. Zacharias schalt sich einen Idioten. Er hatte die Fälle nicht gründlich bedacht und voreilig eine Schuldige gefunden.
»Tut mir leid«, sagte er. Doch es blieb ein Rest von Misstrauen. Es war jener Rest, wie er jedem bleibt, der über die Sicherheit von Menschen zu wachen hat. Du musst mit allem rechnen. Tust du es nicht, dann wirst du versagen. Wie weit entfernt war diese Einsicht von dem Satz, man solle lieber hundert Unschuldige töten als einen Schuldigen laufen zu lassen?
»Mir auch«, sagte sie. Sie schaute ihn fragend an aus schwarzen Augen.
Denkt sie wie ich? Dann wird sie mir nie vertrauen. Was muss man tun, damit du einem vertraust? Ihm fiel nichts ein. Konnten nicht auch Jogiches oder Luxem burg Verräter sein? Du bist verrückt. Dieses nie stillbare Misstrauen. Es fördert die Wachsamkeit, aber sonst zerstört es alles. Das hatte er aus Russland mitgebracht. Dort hatte er gelernt, im Freund den Feind zu vermuten.
»Ich muss jetzt gehen«, sagte er. Er hatte Zeit vergeudet. Sie brauchten die Verbindung zu Pieck. Der kannte Verstecke, der konnte Artikel an die illegale Rote Fahne weiterleiten. Was nutzte es, wenn die Führer der kommenden Revolution sich verbargen, aber nichts mehr zu hören oder zu lesen war von ihnen? Also auf zu Pieck.
Sie brachte ihn an die Tür. Er verabschiedete sich mit Handschlag. Sie hielten sich einige Augenblicke fest. Dann wandte er sich ab und stieg die Treppen hinunter. Er war niedergeschlagen und verwirrt. In Russland wäre Sonja schon tot gewesen.
Jogiches hatte ihm den Weg zu Piecks Wohnung beschrieben. Er wusste allerdings nicht, ob Pieck sich dort aufhielt. Möglicherweise war er verhaftet worden oder untergetaucht. Zacharias musste es versuchen. Unterwegs nach Steglitz wechselte er immer wieder die Straßenbahn. So erreichte er erst am späten Nachmittag sein Ziel.
Die Schadenrute 2 war ein Mietshaus mit grauer Fassade. Auf der Straße war wenig Verkehr. Er lief bis zur nächsten Querstraße, wo zwei Jungen mit einem Lappenknäuel Fußball spielten.
Und wenn Piecks Wohnung längst eine Falle war? Wenn sie dort auf den warteten, der die Verbindung herstellen sollte? Zacharias durfte nicht einfach in das Haus gehen und an der Wohnungstür klingeln, das wäre fast so etwas wie Selbstmord. Dann fand er eine Lösung. Er näherte sich den Jungen, die nun beieinander standen und palaverten. Sie mochten zwölf oder dreizehn Jahre alt sein. Sie schauten Zacharias neugierig an.
»Wollt ihr euch fünf Mark verdienen?«
»Fünf Mark!?« rief der eine. Er hatte rote Haare und Sommersprossen. Er ließ den Mund offen und zeigte unten eine Zahnlücke. Offenbar überlegte er, welche Heldentat oder welches Verbrechen sie für diese ungeheure Summe begehen sollten. »Für was?«
»Ihr bringt eine Botschaft zu einem Herrn Pieck in der Schadenrute 2 und kommt mit der Antwort in Rekordgeschwindigkeit zu mir zurück. Und, genauso wichtig, ihr dürft niemandem sonst ein Wort sagen über diese Sache. Es geht um eine Geburtstagsüberraschung. Deshalb darf ich mich in dem Haus nicht blicken lassen. Und niemand darf wissen, dass ich hier
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