Das Luxemburg-Komplott
Marmelade. Der Tee war eine bräunliche Brühe. Zacharias bezahlte gleich. Er süßte den Tee stark mit Saccharin und trank einen Schluck. Fast hätte er sich den Mund verbrannt. Er stellte die Tasse ab und beobachtete das Geschehen auf der Straße. In der Sonne sahen die Menschen nicht mehr so grau aus. Er blätterte in der Zeitung und behielt gleichzeitig das Haus Nummer 16 im Blick. Dann sah er sie. Sie kam von irgendwoher und öffnete die Haustür, ohne sich umzublicken. Gleich verschwand sie im Haus.
Zacharias überlegte, ob er nun Pieck suchen sollte. Aber dann entschied er sich, noch eine Weile zu warten. Es lohnte sich. Eine halbe Stunde nachdem sie gekommen war, verließ Sonja wieder das Haus. Sie ging Richtung Kleiststraße. Dann bog sie ab zum Wittenbergplatz und stieg die Treppen zur U-Bahn hinunter.
Zacharias eilte hinterher, sein Blick durchsuchte die Umgebung nach Deckung, sollte Sonja sich umdrehen. Er verlor sie einen Moment aus den Augen, dann sprang er hinter eine Säule, weil sie ihm entgegenkam. Sie war nervös, wartete ungeduldig auf den Zug Richtung Nordring. Vielleicht fuhr sie bis zum Alexanderplatz und ging ins Polizeipräsidium. Dann wäre die Sache klar.
Er lief am anderen Gleis entlang gegen die Zugrichtung, um in ihren Rücken zu kommen. Als der Zug einfuhr, stieg sie in den zweiten Wagen, er nahm den dritten und schaute durch die Scheibe vorsichtig nach vorn. Sie setzte sich in Fahrtrichtung auf einen Fensterplatz. Er blieb stehen, um sie nicht zu verlieren. Schon am Bahnhof Spittelmarkt rutschte sie auf dem Sitz hin und her. Was machte sie so nervös? Das schlechte Gewissen? Er ahnte, sie würde am Alex aussteigen. Sie tat es tatsächlich. Und sie ging in Richtung Polizeipräsidium. Sie nahm den Haupteingang.
Als sie im Gebäude verschwunden war, überlegte er, ob er warten sollte. Aber was würde es bringen? Sollte er sie ansprechen? Er würde es mit Jogiches erörtern. Und mit Rosa, auch wenn die ihm nicht glauben wollte. Sie mussten Sonja eine Falle stellen, sie entlarven und dann ausschalten. Oder gleich ausschalten? Zacharias sah die Bilder von Erschießungen vor sich. Er schüttelte sich innerlich. Wenn du dich auf eine Revolution einlässt, musst du auch die Folgen billigen. Schlimmer als der Feind, der dir gegenübersteht, sind die Spitzel, die dich dem Feind ausliefern. Zacharias wusste, den Überfall in Dahlem hatten sie mehr durch Glück überstanden als durch sein Können. Nur ein Streifschuss, die anderen unverletzt, es war ein Wunder. Die Polizisten hatten wohl geglaubt, mit den Wachen alle Gefahr beseitigt zu haben. Leichtsinn kommt vor dem Tod.
Nein, er würde nicht warten. Es genügte als Beweis, dass Sonja ins Polizeipräsidium gegangen war. Wer geht da freiwillig hinein, wenn nicht als Verräter? Er fragte sich, ob Sonja Wollitz’ Wohnung kannte. Das wäre gegen die Regeln der Konspiration. Aber wer von den deutschen Genossen hielt sich schon daran? Zacharias beschloss, nach Charlottenburg zurückzufahren.
Jetzt hatte er es eilig. Er rannte zur U-Bahn und fuhr zurück zum Sophie-Charlotte-Platz. Obwohl er wenig gegessen und geschlafen hatte in den letzten Tagen, genoss er seine Ausdauer. An ihm zerrte kein Gramm Fett. Er war nicht sonderlich kräftig, aber zäh. Trotzdem atmete er stark, als er die Haustür öffnete. Er zwang sich, die Treppe ruhig hochzusteigen, ohne Lärm zu machen. Er klopfte das Erkennungszeichen, gleich darauf schloss Jogiches auf. Er starrte Zacharias kurz an, dann trat er zur Seite, um ihn hineinzulassen.
Zacharias ging ins Wohnzimmer. Rosa saß am Tisch und schrieb etwas. Als sie ihn sah, schraubte sie den Deckel auf den Füllfederhalter. »Schon zurück? Was sagt Pieck?«
»Sonja ist ein Spitzel«, antwortete Zacharias. »Ich habe gesehen, wie sie ins Polizeipräsidium ging.«
Rosa schaute ihn lange an. Jogiches hatte sich auf einen Sessel gesetzt, er sagte nichts.
»Kennt Sonja diese Wohnung?«
Rosa warf Jogiches einen Blick zu, der schüttelte den Kopf.
»Nein, niemand kennt diese Wohnung außer uns. Nicht einmal Pieck. Sonja schon gar nicht.«
»Aber sie kannte die Villa in Dahlem.«
»Weil wir entschieden hatten, sie einzusetzen, um die Verbindungen wieder aufzubauen nach den Januarkämpfen«, sagte Jogiches.
»Was beweist es eigentlich, dass Sonja ins Polizeipräsidium gegangen ist?« fragte Rosa. »Doch nur diese Tatsache. Wir wissen nicht, warum sie es getan hat. Auch nicht, was sie dort gesagt hat. Genosse Zacharias,
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