Das Luxemburg-Komplott
hatte. Das mussten die deutschen Arbeiter noch lernen, dass man grausam sein muss, wenn man keinen grausamen Tod sterben will. Die oder wir, von Anfang an. Siegen wird nur, wer bereit ist, den Feind zu vernichten. Von Anfang an. Darüber kann man nicht abstimmen. Eine Revolution, die heute ihre Feinde schont, ist morgen erstickt. Jetzt, kurz bevor du stirbst, begreifst du endlich, dass du alles richtig gemacht hast. Dserschinski hat sie immer in sich getragen, die Gewissheit, dass der Terror die Hebamme der Menschlichkeit ist. Die Deutschen haben es nicht verstanden, das ist der Unterschied. Deine Opfer, deren Bilder du mit dir herumgeschleppt hast, waren die Mörder von morgen. Nur wenn man die Feinde früh erkennt, kann man sie besiegen. Noske hat das verstanden, wir nicht. Deshalb wird diesmal noch Noske siegen.
Margarete, sie war so dünn gewesen, ausgehungert. Er hätte mit ihr reden sollen, nun war es zu spät. Was wird sie denken, wenn sie erfährt von deinem Tod? Und Mutter? Sie verliert wieder einen. Für sie reiht sich Unglück an Unglück. Sie sieht nicht ein, dass es nicht geht ohne Opfer.
Aus Niederlagen lernen. Die Massen lernen nicht, wenn sie nicht kämpfen. Und am Anfang stehen Niederlagen. Das lehrt Rosa. Aber sie hängt an der bürgerlichen Moral. Doch nur was uns nutzt, ist richtig. Die Opfer sind der Preis der neuen Gesellschaft. Auch dein Opfer wird gezählt bei der Abrechnung.
Der MG-Schütze kniete. Zacharias sah, der Mann blutete am Arm. Er wischte sich über die Stirn, die Hand war rot. Ein Kratzer nur. Er fühlte sich tranig, schwer. Einfach hier liegenbleiben und auf den Schuss warten. Wann kommen sie endlich? Bringen wir es hinter uns.
Der MG-Schütze rutschte auf Knien zu ihm. »Hab’s nicht so gemeint«, sagte er und schlug Zacharias auf die Schulter. »Wo kommst du her, Genosse?«
»Aus Berlin. Aber die letzten Jahre war ich in russischer Kriegsgefangenschaft.«
»Die Bolschewiken haben es uns vorgemacht. Warum haben die gesiegt und wir verloren?«
»Weil wir nicht hart genug sind, nicht entschlossen. Weil zu viele Arbeiter Ebert und Scheidemann folgen. Weil die USP uns im Stich lässt. Weil wir zu wenige sind.«
»Und in Russland, warst du dabei?«
»Ja.«
»Ihr habt nicht lang gefackelt, wenn man glaubt, was man so hört. Terror.«
»Roter Terror, das ist das Rezept.«
»Und wann hört er auf, der Terror?« fragte der MG-Schütze.
»Wenn es keine Feinde mehr gibt.«
»Ob sie uns foltern, bevor sie uns erschießen?«
»Weiß nicht. Kannst sie ja mal fragen.«
»Witzbold. Besorg mal eine Handgranate.«
Zacharias ging in die Hocke und lief gebückt in die Küche. Auf dem Boden lagen drei Tote und ein Verletzter. Der sah aus wie tot, aber seine Blicke folgten Zacharias’ Bewegung. Der erkannte vier weitere Genossen, vor Angst eng gedrängt in einer Ecke. Zacharias sprach einen an. Der hatte ein blutverschmiertes Gesicht. »Habt ihr zwei Handgranaten übrig?«
Die vier schauten sich an und schüttelten die Köpfe. Dann sagte der mit dem blutverschmierten Gesicht: »Nein, geh mal zu dem Genossen an der Treppe, der hat die letzten eingesammelt.«
Zacharias ging zu dem Mann an der Treppe. Der hatte sich auf eine Stufe gesetzt und starrte vor sich hin. Neben ihm lagen fünf oder sechs Stielhandgranaten. Zacharias nahm zwei, der Mann reagierte nicht. Er ging mit den Granaten zu Rosa, Jogiches und Liebknecht. Die schienen eine Weile geschwiegen zu haben. Rosa warf Zacharias einen müden Blick zu. Zacharias gab Jogiches eine Handgranate. »Wenn sie kommen, ist das vielleicht der letzte Ausweg.«
Rosa schüttelte den Kopf. »Der letzte Ausweg!« Sie lachte bitter. Dann schloss sie die Augen. »Wenn wir fromm wären, könnten wir beten«, sagte sie. Sie lachte noch einmal, hart und kurz.
»Können Sie damit umgehen?« fragte Zacharias Jogiches.
Der nickte. »Wir werden noch ein paar von denen mitnehmen«, sagte er.
Zacharias ging zurück zum MG-Schützen. Der sah die Granate und nickte. »Das ist gut. Jetzt haben wir es selbst in der Hand.«
»Was für ein Tag ist heute?« fragte der MG-Schütze.
»Sie starben am 7. März 1919, einem Freitag«, sagte Zacharias. »Vielleicht auch erst am 8., am frühen Morgen.«
Das Schießen draußen hörte auf, die Dunkelheit brach an. Die Freikorpsleute hatten die Revolutionäre eingeschlossen und ließen sich Zeit, sie wollten die Sache bei Tageslicht beenden, damit keiner entkam.
»Wir warten, bis sie sich hochtrauen morgen früh.
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