Das Luxemburg-Komplott
kehrte zurück zum Plenum und hoffte, die führenden Genossen im Raum hinter dem Präsidium würden auch daran denken.
Er versuchte sich auf Haases Rede zu konzentrieren. Haase war Rechtsanwalt wie Liebknecht, und das merkte man. Er war kein Demagoge, sondern reihte Argumente aneinander. Er setzte sich mit Einwürfen auseinander, die er erwartete. Warum nur eine provisorische Regierung? Weil der Berliner Arbeiter-und-Soldaten-Rat nicht für die Arbeiter und Soldaten im Reich sprechen könne. Erst wenn die Arbeiter und Soldaten in ganz Deutschland ihre Delegierten nach Berlin schickten und diese die Regierung bestätigten oder eine neue wählten, sei der Rat der Volkskommissare die Stimme des revolutionären Deutschland.
Zacharias starrte auf die Tür hinter dem Präsidium, dann trieb ihn die Ungewissheit dorthin. Niemand hielt ihn auf. Er öffnete die Tür, nirgendwo eine Wache. Drinnen saßen und standen die Führer der revolutionären Parteien und Betriebsvertreter um einen Tisch und stritten sich lautstark. Liebknecht forderte gerade, dass niemand anderes als die Genossin Luxemburg verantwortlich für die Wirtschaftspolitik sein müsse, »oder, sagen wir es deutlich, für die Sozialisierung«. Einige klopften Beifall oder klatschten, wenige buhten. Zacharias entdeckte Jogiches, der in einer Ecke lehnte und zuhörte. Zacharias eilte zu ihm, der schaute ihn ruhig an.
»Kennen Sie die militärische Lage? Warum ist der Raum hier nicht abgesichert?«
Jogiches war einen Augenblick überrascht. Dann begriff er. »Warten Sie hier.« Jogiches ging nach vorn, tippte Däumig, der am Tisch saß, auf die Schulter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der stand auf und stellte sich zu Zacharias. Er reichte ihm die Hand und nickte freundlich.
»Sie kennen sich ja schon, der Genosse Däumig ist in der USP verantwortlich für Militärfragen«, sagte Jogiches. Er wandte sich an Däumig. »Bitte unterrichten Sie den Genossen Zacharias über die Lage.«
Der kratzte sich an der Nase. »Unser Nachrichtendienst meldet, alle konterrevolutionären Verbände haben sich aus Berlin zurückgezogen. Wir beobachten sie genau. Sie sammeln sich, warten auf Verstärkung und werden dann angreifen. Aber vielleicht« – er lächelte – »kommen wir ihnen zuvor. Die Räte in Hamburg und Bremen sowie in vielen kleineren Städten haben sich für die Revolution erklärt. Kiel ist wieder in der Hand der Matrosen. In München wird gerade eine neue bayerische Regierung gebildet, unter Einschluss von USP und KPD. Es ist, als hätten sie nur auf unser Zeichen gewartet. Binnen weniger Stunden hat sich die Lage grundlegend verändert.«
Däumig redete an gegen die laute Streiterei der Führer. Immer wieder Liebknechts Stimme.
»Der Genosse Liebknecht ist wieder anstrengend«, grinste Däumig. »Er wird Vorsitzender des Rats der Volkskommissare, aber es ist ihm nicht genug. Er will alles sofort. Die Sozialisierung, den Sieg über den Feind, das Bündnis mit Lenin, den Aufbau einer Roten Armee, ein Tribunal über Ebert und Scheidemann. Wir haben Truppen in Richtung Weimar geschickt, aus Erfurt, Dresden und Leipzig. In Bamberg wird gekämpft, auch noch in weiteren bayerischen Städten, genauso in Hannover und Düsseldorf. Im Ruhrgebiet hat sich eine Rote Armee gebildet mit einigen zehntausend Kämpfern. Sie hat sich unserer Regierung unterstellt. Wir wollen Weimar einkesseln und die Ebert-Scheidemann-Regierung verhaften. Wir werden nachher beschließen, dass die Nationalversammlung aufgelöst ist. Unsere Abgeordneten sind schon hier. Wir sind dabei, weitere bewaffnete Einheiten in Berlin aufzustellen und aus dem Umland herzuholen. Vielleicht gelingt es uns, die Freikorps anzugreifen, bevor die dazu kommen.«
»Und die Entente?«
»Das ist fast die größte Gefahr. Bisher sieht die Lage so aus: Die Engländer wollen offenbar nicht militärisch eingreifen, die Franzosen schon. Aber die französische Arbeiterbewegung wird nicht stillhalten. Die Gewerkschaften werden mit Streik drohen, ich habe vorhin ein Telegramm aus Paris erhalten. Die Briten fürchten, Trotzki lässt die Rote Armee Polen überrennen und uns zur Hilfe eilen. Der amerikanische Präsident Wilson verlangt, dass Franzosen und Belgier sich raushalten. Wilson hat Angst, dass auch in Westeuropa die Arbeiterklasse nach der Macht greift.«
»Auf gut Deutsch, es kann jeden Tag alles Mögliche passieren«, sagte Zacharias. Er staunte, wie schnell sich die Dinge entwickelten.
»So ist es. Sie sind
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