Das Luxemburg-Komplott
Prozess! Abknallen!«
»Nein, Genossen«, erwiderte Liebknecht, »wir müssen diese Verräter öffentlich entlarven, um jene Arbeiter für die Revolution zu gewinnen, die immer noch glauben, die SPD kämpfe für den Sozialismus. Und wir müssen diejenigen zur Verantwortung ziehen, die den Krieg verschuldet haben.«
Beifall.
»Wir werden Ihnen morgen ein Sozialisierungsgesetz zur Abstimmung vorlegen. Ich kann Ihnen heute ankündigen, dass darin alle Betriebe ab einer bestimmten Belegschaftszahl sofort der Kontrolle der Betriebsräte unterworfen werden. Die Kapitalisten werden entmachtet, jeder Versuch des Widerstands wird gebrochen. Die Genossin Luxemburg wird nach mir dazu vortragen. Der Genosse Däumig ist beauftragt, eine Miliz zu bilden und ein Komitee zur Bekämpfung der Konterrevolution. Die preußische Polizei und die Polizei in den anderen Ländern des Reichs sind aufgelöst. Außerdem werden wir alle Richter und Staatsanwälte entlassen. Sofern sie direkt der Klassenjustiz gedient haben, werden wir sie zur Verantwortung ziehen. Die Gefängnisse unterstehen künftig der Verwaltung des Genossen Haase. In Moabit und Plötzensee wurden bereits alle politischen Gefangenen freigelassen, dazu alle Gefangenen, die keine Kapitalverbrechen verübt haben. Alle sonstigen Fälle werden geprüft. Die Genossen in Hamburg, Bremen und anderen Städten werden genauso handeln. Der Presse wird per Gesetz auferlegt, die Wahrheit zu berichten. Sollten Zeitungen gegen das Gesetz verstoßen, werden sie verboten. Das gilt auch, wenn Zeitungen zur Unruhe oder zum Widerstand gegen die Regierung der Arbeiter und Soldaten aufhetzen. Als erste Maßnahme haben wir dem Genossen Däumig befohlen, Redaktion und Druckerei des Vorwärts zu besetzen. Sollte sich die Berliner Organisation der Mehrheitssozialdemokraten auf den Boden der Revolution stellen, darf der Vorwärts wieder erscheinen.«
Liebknecht sagte noch viel, aber Zacharias war zu müde, um ihm zu folgen. Er legte sich auf den Boden, benutzte den Mantel als Kopfkissen und schlief gleich ein.
Irgendwann spürte er ein Rütteln, er öffnete die Augen und sah in das Gesicht eines Mannes, den er nicht kannte. »Genosse, es ist Revolution, schlafen kannst du später!« Der Mann lachte.
Dann hörte Zacharias ihre Stimme. Er erkannte sie sofort. Das war nicht Luise Zietz von der USP, die zum Staatssekretär ernannt worden war, und es war nicht Clara Zetkin, der Volkskommissar für Frauenangelegenheiten. Es war Rosa. Die Menschen tobten nicht wie bei Liebknecht, sie hörten zu.
Luxemburg beschwor die Genossen, Gewalt nur zu benutzen, wenn der Klassenfeind zur Gewalt greife. »Wir brauchen hier nicht das Blutbad nach bolschewistischem Muster. Die deutsche Arbeiterklasse ist zu zivilisiert, zu sehr die Erbin der europäischen Kultur, als dass sie zu Totschlägern herabsinkt. Der Feind bestimmt, ob wir Gewalt anwenden und wie viel Gewalt wir anwenden. Wenn es nach uns ginge, so würde die Revolution friedlich siegen, weil die Massen den Sozialismus wollen.«
Zacharias hörte manche murren. Sie wollten Rache. Aber vielleicht schieben sie nur das eigene Versagen ab auf die Führer. Die heute murren, sind womöglich im August 1914 freiwillig in den Krieg gezogen. Vielleicht haben sie im Winter 1918 den Mehrheitssozialdemokraten geglaubt, dass die Sozialisierung marschiere und der Volksstaat gegründet werde. Aber hat Rosa nicht recht, wenn sie sagt, die Massen müssten selbst lernen, wie sie den Klassenkampf zu führen hätten? Allein durch ihr Auftreten erinnert sie viele Arbeiter daran, dass auch sie die Revolution 1914 verraten hatten. Die damals der Sache treu geblieben sind, waren ein klägliches Häuflein, verlacht und verhöhnt, wenn es überhaupt wahrgenommen wurde. Rosa und auch Liebknecht gingen für ihre Überzeugung ins Gefängnis. Viele von denen, die heute nach Rache schreien, haben die Spartakisten damals erst als Landesverräter beschimpft, dann als bolschewistische Agenten. Und heute wollen sie kein kritisches Wort hören, nichts, was sie von ihrer Rache abhalten könnte. Die Wut, die sie auf sich haben müssten, richten sie nun gegen Ebert und Scheidemann und die Sozialdemokraten, die ihnen noch folgen. Diese Wut schafft ein Feindbild und wird zur Triebkraft der Revolution. So erwächst aus der Ebert und den anderen sozialdemokratischen Führern angelasteten Täuschung, die in Wahrheit auch eine Selbsttäuschung war, neue Kraft.
Zacharias fühlte sich elend. Er wankte
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