Das Luxemburg-Komplott
Dserschinski nach Deutschland einzuladen. Er kann berichten, wie wir das in Russland machen. Wenn wir warten, bis der Feind uns angreift, haben wir schon verloren. Also müssen wir den Feind zuerst angreifen. Unsere marxistische Analyse zeigt unwiderlegbar, wo der Feind sitzt.«
»Da irren Sie sich, Genosse Radek, unsere marxistische Analyse zeigt uns allerlei, aber sie lässt uns nicht in die Köpfe von Menschen schauen. Also dorthin, wo die Feindschaft sitzt, aber auch die Freundschaft. Sie machen den gleichen Fehler wie der geschätzte Genosse Lenin …«
Gelächter.
»Sie irren, Genossen, ich schätze Lenin wirklich, das ist kein Scherz. Dieser Genosse hat sein Leben der Revolution gewidmet und sie organisiert. In diesem Punkt ist er uns voraus, und wir müssen natürlich genau analysieren, was Lenin und unsere russischen Genossen ausprobieren, und wenn es nur darum geht, Fehler nicht zweimal zu machen. Aber wir werden nicht sklavisch übernehmen, was in Russland getan wird.«
»Das Sein bestimmt das Bewusstsein!« rief Pieck.
»Da haben Sie gut aufgepasst in der Parteischule. A ber nicht gut genug. Das ist eine grundsätzliche, philo sophische Aussage, also eine ganz allgemeine Deutung. Manchmal bestimmt das Bewusstsein auch das Sein, wie wäre sonst eine Revolution möglich? Ich will Ihnen keinen Vortrag halten über Sein und Bewusstsein, nur soviel vielleicht: Dieser Satz gilt auf höchster Ebene der Abstraktion, wenn man beides gegeneinander stellt. In der Wirklichkeit aber verflechten sich beide dialektisch, und es nutzt einem bei der Analyse herzlich wenig, herauszuposaunen, das Sein bestimmt das Bewusstsein, wenn man nicht genau betrachtet, ob in diesem Augenblick nicht gerade andersherum gilt, dass das Bewusstsein ein neues Sein schafft. Nicht wahr, Genosse Pieck?«
»Vielen Dank für die wie immer nützliche Belehrung«, sagte Friesland, »der Genosse Pieck wird sie gewiss künftig berücksichtigen. Und doch glaube ich, dass uns diese eher abstrakten Erörterungen nicht weiterhelfen. Radek hat in einem Punkt recht, wir müssen die Konterrevolution bekämpfen, weil wir sonst eher früher als später scheitern.«
Liebknecht hatte bisher die Wortmeldungen notiert und zugehört. Er spielte mit seinem Füller, kritzelte immer wieder etwas aufs Papier, zeigte seine Unruhe. Vielleicht sitzt er in der Zwickmühle, weil er denkt wie Friesland, aber den Schulterschluss mit Rosa nicht aufgeben will. Sie haben zu viel erlebt zusammen, und Liebknecht bewunderte Rosa als Theoretikerin, wenn er sich auch gleichzeitig in Konkurrenz mit ihr sah. Zacharias beobachtete, wie Liebknecht sich wand, ohne etwas zu sagen. Aber dann drängte es ihn doch: »Wir brauchen eine eigene Polizei, nennen wir sie meinetwegen Miliz, wie es sich schon eingebürgert hat, schließlich heißt die Regierung ja auch Rat der Volkskommissare. Wir müssen uns auf die Heimtücke des Feindes einstellen. Aber noch wichtiger ist, dass aus vielen Räterepubliken eine Räterepublik wird. Hamburg, Bremen, Köln, Essen, Dortmund und andere Städte haben inzwischen unsere Regierung anerkannt, sogar einige Landkreise. Aber das sind eher Solidaritätsadressen als ein wirklicher Fortschritt. Wir brauchen Verwaltungsorgane, die einheitlich aufgebaut sind und einer zentralen Leitung unterstehen. Wir brauchen vor allem eine Armee, die der Regierung gehorcht und nicht einen Bürgerkrieg auf eigene Rechnung führt. Wo der Feind sich stellt, muss er geschlagen werden, ohne militärische Leitung wird er uns nicht nur zuvorkommen, sondern uns am Ende auch die Luft abdrücken.«
»Däumig versagt auf ganzer Linie«, sagte Friesland. »Er hält große Reden und vertraut darauf, dass alles werden wird, wie es werden soll.«
»Dann werde ich Däumig ablösen«, sagte Liebknecht.
»Wenn Sie das tun, springt womöglich die USP ab. Eine Regierungskrise ist das letzte, was wir uns leisten können.« Rosa überlegte, dann sagte sie: »Wissen wir denn überhaupt, wo der Feind steht?«
Pieck schüttelte den Kopf. »Wir haben zahlreiche Meldungen über feindliche Truppenbewegungen, aber diese Meldungen sind nur im Ausnahmefall bestätigt, vor allem werden sie nicht ausgewertet.«
»Dann sollten wir dem Genossen Däumig dabei helfen.« Sie drehte sich um zu Zacharias. »Wollen Sie nicht in seine Dienste treten?«
Zacharias schüttelte den Kopf. »Noch sind Sie nicht sicher, überall lauern Mörder. Denken Sie an Eisner, der als bayerischer Ministerpräsident
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