Das Luxemburg-Komplott
wenn die Eisenbahner streiken, dann werden sie mit uns allen hungern, weil nicht einmal die Russenhilfe nach Deutschland kommt.«
Dann sprach sie über den Produktionsplan, den der Rat der Volkskommissare mit den Arbeiter-und- Soldaten-Räten entwickeln müsse. So ein Plan sei ein ungeheuer komplizierter Mechanismus, aber ohne ihn verfalle das Land der Anarchie.
»Wir lassen uns nicht mehr gängeln!« Ein erster Zwischenruf, weitere folgten. An die Stelle der Freude trat der Zweifel. Die Begeisterung flaute ab, auch wenn einige sich bemühten, Rosa zu unterstützen.
»Ich kann das verstehen. Da erobert man die Fabriken und Werften, und dann kommt jemand aus Berlin und will einem vorschreiben, was man damit zu tun hat. A ber so ist es nicht, Genossen. Es handelt sich vielmehr um einen Prozess der Abstimmung zwischen der Zentrale und diesem unendlich fein verzweigten Netz, das sich Wirtschaft nennt. Eine Befehlswirtschaft lehne ich ab, aber die Zentrale muss den Bedarf erfassen und diesen in einen Planvorschlag umsetzen, der wiederum den Betrieben zur Diskussion vorgelegt wird.«
Wenig Beifall. Auch als sie ihre Rede beendete, war der Applaus schwächer als am Anfang. Nun meldeten sich zahlreiche Versammlungsteilnehmer zu Wort.
Der erste wandte ein, die Genossin Luxemburg habe kein Wort über die Konterrevolution verloren. Auch keines darüber, wie die Regierung mit den Augustverbrechern abrechnen wolle. »Und überhaupt, wenn ich schon von einer Regierung spreche. Wir in Hamburg haben die Revolution selbst gemacht. Sogar zweimal, nachdem beim ersten Mal Noske die Hamburger Arbeiterklasse zusammengeschossen hat. Wir entscheiden selbst, was richtig ist und was falsch, da lassen wir uns nicht hineinreden.«
Der nächste Redner widersprach. Wenn die Revolutionäre nicht zusammenarbeiteten, werde die Reaktion am Ende wieder siegen.
Rosa hörte zu und verzog kaum eine Miene. Eine gute Stunde nur lag zwischen Euphorie und Ernüchterung. Vielleicht hatte sie es geahnt. Zacharias hörte kaum zu, was die Redner sagten. Ihm drängte sich ein Bild auf von einem Deutschland, das in Teile zerfiel. In solche, wo die Revolution siegte, solche, in denen die Reaktion sich hielt, solche, in denen Revolutionäre sich Berlin unterordneten, solche, in denen die Anarchisten die O berhand gewannen. Und wenn die Katastrophe vollständig werden sollte, dann kamen Gebiete hinzu, die Franzosen oder Polen besetzten. Er beobachtete Rosa und bildete sich ein, dass sie Ähnliches fürchtete. Wenn das Land zerfiel, zerfiel auch die Revolution.
Kaum einer der Redner stellte sich als Mitglied der KP vor, fast alle waren Anhänger der USP. Sofern Arbeiter zur Mehrheitssozialdemokratie gehörten, verschwiegen sie es. Aber ihre Argumente verrieten sie. Schließlich sei die Nationalversammlung demokratisch gewählt, und es sei undemokratisch, sie auseinanderzujagen und die gewählte Regierung zu verfolgen. Lautes Gejohle der Mehrheit im Saal war die Antwort.
Rosa hörte zu, und Zacharias sah, dass der Einwand sie berührte. Plötzlich stand sie auf und trat ans Rednerpult. In Revolutionen könne man nicht abstimmen. Aber sie könnten nicht siegen, wenn nicht die große Mehrheit der Arbeiter sie unterstütze. Wären heute Wahlen zur Nationalversammlung, so würden die Parteien der Reaktion viel weniger Stimmen erhalten als im Januar. »Heute würden die Parteien des revolutionären Proletariats die Mehrheit der Stimmen bekommen. Wenn die Wogen hochschlagen, dann ändert sich die Stimmung jeden Tag. Es ist die Aufgabe der revolutionären Parteien, die Arbeiterklasse für ihr Programm zu gewinnen. Gelingt es ihnen, werden sie siegen. Misslingt es, werden sie untergehen und mit ihnen das Proletariat. Aber wenn es gelingt, dann gilt die Maxime: dem Feind das Knie auf die Brust. Das ist unsere Demokratie, die Diktatur des Proletariats.«
Nun erhob sich doch starker Beifall.
Nach der Versammlung saßen sie zusammen mit einigen Harnburger USP- und KP-Funktionären in einem kleinen Sitzungsraum um einen Tisch. Die Wände waren holzvertäfelt, es stank nach Zigarettenrauch. Auf einer Vitrine standen versilberte Teller, Statuetten und Holzkästchen, wohl Gastgeschenke auswärtiger Ge werkschaftsdelegationen. An der Wand Porträts von August Bebel, Wilhelm Liebknecht und Ferdinand Lassalle. Ein Bild zeigte eine Maidemonstration aus der Vorkriegszeit. Das war nur ein paar Jahre her und doch wie vor unendlich langer Zeit. Aber manche Jahre zählen mehrfach,
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