Das Luzifer Evangelium
gewisse Ähnlichkeit mit den ersten Menschen der Bibel auf. Adam wurde neunhundertdreißig Jahre alt, Noah neunhundertfünfzig Jahre, Methusalem neunhundertneunundsechzig Jahre, Jared neunhundertzweiundsechzig Jahre, Seth neunhundertzwölf. Hinweise auf Nephilim finden sich auch in Henochs Buch, einem prophetischen Text, der nicht ins Alte Testament aufgenommen wurde: Sie wurden aber schwanger und gebaren riesige Giganten […] Als aber die Menschen sie nicht mehr ernähren konnten, wandten sich die Riesen gegen sie und fraßen sie auf, und die Menschen begannen sich an den Vögeln, Tieren, Reptilien und Fischen zu versündigen, das Fleisch voneinander aufzufressen, und tranken das Blut.*
* Henochs Buch, Buch 1, Kap. 7, Vers 1–6
Teil sechs von Henochs Buch heißt Buch der Riesen und hat wesentlich zur Entwicklung des Manichäismus des Propheten Mani beigetragen, dem die Drăculsângeer wiederum einen großen Teil ihres Gedankenguts entnommen haben. In Henochs Buch steht geschrieben, wie ein Riese namens Ogias gegen einen Drachen kämpft. Im Talmud wird Ogias im selben Atemzug wie Gilgamesch genannt. Sehen Sie, wie alles zusammenhängt? In der babylonischen Version des Talmud wird auf den gleichen Riesen verwiesen, hier heißt er Ohia, Vater der Brüder Sihon und Og, die wir im ersten Buch Mose wiederfinden. Ohia war der Sohn Samyazas, einer der gefallenen Engel, der eine Menschenfrau geschwängert hat. Interessanterweise ist Samyaza laut christlicher Tradition gleich Satan.«
»Aber wer waren sie?«, wiederholte ich. »Woher kamen sie?«
»Die Antwort hängt davon ab, wen Sie fragen. In der aramäischen Übersetzung und Auslegung des Alten Testaments, dem Targum, sind die Nephilim Nachkommen gefallener Engel, die mit Menschenfrauen Kinder gezeugt haben. Eine andere Meinung lautet, dass die Nephilim von den jüdischen Göttern abstammen, die angebetet wurden, bis der Schöpfergott Jahwe sie aus dem Weg räumte. Nach dieser Hypothese wurden diese Details aus den Mosebüchern gestrichen, da sie dem Projekt nicht dienlich waren – das Volk im Glauben an einen allmächtigen Gott zu versammeln. Nach den Texten, die Archäologen in der frühantiken Stadt Ugarit in Syrien gefunden haben, die unter anderem auch Listen der damaligen Götter umfassten, hatte Gott siebzig Söhne, von denen jeder einen Stamm anführte.«
»Dann waren die Riesen, die Nephilim, also Nachkommen von Gott?«
»Nicht von Gott! Von Satan!«
»Haben Sie nicht gerade gesagt …«
»Alte Mythen werden oft mit anderen Mythen vermischt. Die gewöhnlichste Theorie ist die, dass die Nephilim Nachkommen gefallener Engel sind, die sie zusammen mit Menschenfrauen gezeugt haben.«
»Ich wusste gar nicht, dass Engel an Sex interessiert sind.«
»Zu Noahs Zeiten haben viele Engel Gott verlassen, um Sex mit Frauen zu haben. Die Engel erschienen den Frauen in Menschengestalt, machten sich unwiderstehlich. Aber die Kinder, die die Engel mit den Menschenfrauen bekamen, waren Missgeburten. Nephilim. Gewalttätige, übermenschliche, bösartige Riesen. Die Nephilim wurden von der Sintflut ausgerottet. Die gefallenen Engel aber retteten sich, indem sie sich in Geister verwandelten, doch für diese Geister blieb die Himmelspforte verschlossen. Also haben sie bei Satan Zuflucht gesucht. Und diese Geschöpfe bezeichnen wir von da an als Dämonen.«
Sein Handy klingelte. Er hatte sich Neil Armstrongs berühmte Worte als Klingelton heruntergeladen. That’s one small step for a man, one giant leap for mankind . Viele Jahre haben Querulanten diskutiert, ob Armstrong das »a« vor »man« wirklich ausgesprochen hat – oder ob er es vergessen hatte oder es in der schlechten Übertragung einfach untergegangen war.
CC hörte zu. Stellte ein paar Fragen. »Fantastisch!«, murmelte er mehrmals. Als er das Handy mit einer Fingerfertigkeit, die einem Illusionisten alle Ehre gemacht hätte, zuklappte, entspannte sich sein Gesicht in einem jungenhaften Lächeln. »Es wurde noch eine weitere Handschrift gefunden. Sie lag in einem Silberschrein in einer der Nischen des Tempelturms. Ein ganzer Stapel Texte in akkadischer Keilschrift. Der Nephilim hat uns noch eine Botschaft hinterlassen.«
X : Die Kupferrolle
1
In meiner Fantasie sehe ich ihn vor mir, durstig und gehetzt, wie er die Augen mit seinem Unterarm vor der sengenden Sonne zu beschatten versucht. Der Wind ist warm und trocken. Hoch über ihm, fast nicht zu sehen vor dem blanken Himmel, schwebt ein Falke. Der
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